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Wigges Tauschrausch

Wigges Tauschrausch

Titel: Wigges Tauschrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wigge
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Liste alternativer Gebrauchsmöglichkeiten.
    Und wie immer möchte ich als seriöser Tauschpartner sichergehen, dass das, was ich mir so ausdenke, im Alltag auch überzeugend funktioniert. Also teste ich die folgenden Verwendungsmöglichkeiten für ein Porzellanservice auf dem Flachdach meiner Herberge im Stadtteil Brooklyn:
Teller als fliegende Untertasse: Hervorragend geeignet, wenn man im Freundeskreis die Existenz von Außerirdischen beweisen will.
Porzellan als Wurfobjekt in Beziehungsstreitigkeiten:Nicht nur im Film immer wieder gerne in solch emotional aufgeladenen Situationen eingesetzt.
Teller als Frisbee-Scheibe: Die guten Flugeigenschaften der Teller sind auch für mich eine Überraschung.
Tasse als Gerät zur Bestimmung der Höhe eines Gebäudes: Man muss die Tasse nur vom Gebäude hinunterfallen lassen, das es zu vermessen gilt. Anhand der Dauer des Fluges lässt sich die Höhe exakt berechnen.
Tassen als Bausteine: Mit zehn übereinandergestapelten Tassen lässt sich mit ein wenig Fingerspitzengefühl der Schiefe Turm von Pisa nachbauen. Bei zehn Tassen ist allerdings Schluss, dann neigt sich der Turm zu stark.
    Da sich die gesamte Versuchsreihe für die alternativen Verwendungsmöglichkeiten eines Service nur ein einziges Mal durchführen lassen, war ich froh, auf ein billiges Porzellan-Set von einem Laden an der Ecke zurückgegriffen zu haben. Das Test-Service war am Ende komplett zerstört, aber es ist bewiesen: Alle oben aufgeführten Verwendungsmöglichkeiten funktionieren ausgezeichnet.
    Gerüstet mit neuen Argumenten und bepackt mit meinem Tauschgut, fahre ich nun täglich nach Manhattan, um die Sachen unters Volk zu bringen.
    Manhattan überwältigt mich. Die unzähligen Hochhäuser, das hohe Tempo der Menschen, jede Ecke scheint komplett anders als die vorherige zu sein. Mal Little Italy, dann SoHo, Central Park, Wall Street, und dann der Broadway, wiederum nicht weit entfernt vom East Village, und so weiter. Auf dieser Insel, die den zentralen Stadtteil von New York City bildet, sieht man die ganze Welt im Zeitraffer. Aber welche Ecke ist am tauschfreudigsten?
    Ich entscheide mich für die Wall Street. Hier müssten doch viele reiche Leute herumlaufen, die den ganzen Tag damit beschäftigt sind zu tauschen oder, wie man hier sagen würde, zu traden . Sollten die Broker und Investoren, nachdem sie den ganzen Tag mit abstrakten Zahlen hantiert haben, nach Feierabend nicht Lust bekommen, mal etwas ganz Handfestes zu tauschen, eine historische Uhr zum Beispiel oder einen Reisegutschein?
    Meine ersten Tauschversuche gestalten sich allerdings etwas schwierig, da vor allem Touristenmassen an mir vorüberziehen, die im Minutentakt durch die Wall Street geschleust werden. Sie antworten mir auf Chinesisch oder Italienisch und haben in der Regel nicht mehr im Angebot als eine soeben gekaufte Postkarte.
    Doch dann treffe ich Barry, einen Amerikaner um die fünfzig, der von meiner Tauschaktion angetan ist, da er selbst gerne tauscht. Er erzählt mir, dass er vor kurzem bei seinem Handyanbieter Schulden hatte, weshalb er bei der Hotline des Anbieters anrief und der Sachbearbeiterin anbot, ihr ein Lied zu singen. Unglaublich, aber der Deal funktionierte, Barry hat sein Lied gesungen, und die Schulden wurden vergessen.
    Ich bin beeindruckt, dass in unserer kommerziellen Welt und besonders in den USA so ein unkonventioneller Tausch möglich ist. Barry erzählt mir weiter, dass er für eines meiner Tauschgüter etwas ganz Besonderes bieten könnte. Er fährt fort, dass er früher bei einem Radiosender in der Nähe von Chicago gearbeitet habe und dort beim Entrümpeln des Archivs original Beatles-Interviews auf Tonbändern gefunden habe, die bislang weltweit unveröffentlicht seien. Wow, was für ein Tauschgut!
    Ich male mir sofort aus, wie ich gegen diese Unikate bei Beatles-Fanclubs ein Haus auf Hawaii eintausche.Aber leider werde ich von Barry schnell wieder aus meiner Traumwelt herausgerissen, da er plötzlich verkündet, die Tonbänder niemals hergeben zu wollen.
    So ziehe ich erfolglos weiter durch die Wall Street und breche die Aktion an diesem Tag wegen starken Regens ab, denn ich bin pitschnass.
    Am nächsten Tag mache ich weiter, immer noch auf der Wall Street. Aber aus einer Absage werden bald zwei, dann vier, dann acht, dann 16, 32. Bei der 64. Absage höre ich frustriert auf, da mir klar wird, dass die Wall Street zu sehr am Geld hängt und mein Vorhaben für viele doch zu unkonventionell zu sein

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