Wigges Tauschrausch
FERTIG – LOS ! Ich renne wie ein Verrückter zwischen den Regalen des Showrooms hin und her, rutsche fast aus, was verheerend wäre, da sich in den Regalen neben mir Werte aufstapeln, die in die Tausende gehen. Aber es geht gut, und ich inspiziere in Windeseile die Teller und Tassen.
Woran erkennt man den Wert eines Geschirr-Sets? Ich gehe ganz pragmatisch vor: Alles, was weiß ist, fällt raus, da es irgendwie unkreativ aussieht, Teller mit quietschigen Farben ebenfalls, da sie mich zu sehr an IKEA -Porzellan erinnern. Deshalb spezialisiere ich mich auf Teller und Tassen, die eine Goldverzierung haben. Kunden, die so etwas kaufen, haben Geld, denke ich und entscheide mich in Sekunde dreißig für ein Set mit einer verschnörkelten Goldverzierung.
Die Auflösung des Rätsels steht unmittelbar bevor. Ich bin wirklich aufgeregt. Ist es ein Set für 8000 oder für 80000 Real? Der Firmenbesitzer holt ein Preisschild aus einem großen Karton, in dem sich das komplette Service befindet. Ich sehe zwölf kleine Tassen, zwölf große Tassen, zwölf Teller, zwölf kleine Unterteller, zwölf große Unterteller, eine Schale, eine kleine Kaffeekanne, eine große Kanne, eine Milchkanne und eine Zuckerdose. Alles aus bestem Porzellan.
Aber was ist das alles wert? Ich sehe, wie der Firmenchef das Preisschild in seiner Hand langsam umdreht. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf, unter anderem, was wäre, wenn es eine Niete ist? Soll ich alles rückgängig machen oder schnell aus der Fabrik verschwinden und in James-Bond-Manier in den Käfer springen, um damit nach New York zu fahren? Nein! Ich habe mich auf das Spiel eingelassen und werde akzeptieren müssen, was kommt. Dann lese ich die Summe auf dem Preisschild: 5000–6000 Real auf Verhandlungsbasis.
Ich bin erleichtert, selbst wenn ich den niedrigsten Preis ansetze, sind das immer noch 1000 Real mehr, als der alte Käfer wert war. Mir fällt ein Stein vom Herzen, und ich überreiche Ivone den Schlüssel für den Käfer, der nun in Pomerode bleibt. Eigentlich ist hiermit mein Tauschrausch in Pomerode erfolgreich abgeschlossen, aber dann klingelt plötzlich das Telefon. Es ist ein gewisser Ronald, der mir noch einen Tausch anbieten möchte. Er erzählt mir, dass er der Sohn deutscher Auswanderer sei, lange in São Paulo gelebt habe und nun mit seiner Familie ein idyllisches und vor allem sicheres Leben in Pomerode führen möchte. Er redet davon, dass das Leben in der Megastadt São Paulo unglaublich gefährlich sei, Überfälle und selbst Morde seien in seiner ehemaligen Nachbarschaft keine Seltenheit gewesen.
Ich treffe ihn schließlich in seinem Landhaus und erkläre ihm, dass Porzellan, Reisegutschein und historische Uhr bereits einen hohen Wert hätten und ich so wenig wiemöglich investieren möchte, da ich mein Ziel »Haus auf Hawaii« im Auge behalten muss. Ronald versteht meine Lage, zeigt mir aber dennoch sein Tauschgut: Es heißt Hansi, hat vier Beine und wird irgendwann mal zu einem stolzen Hengst heranwachsen; es ist ein junges Pony. Hansi sieht recht drollig aus und schaut mich fragend an – ein ulkiges und vor allem lebendes Tauschgut.
Bald stellt sich aber heraus, dass Ronald mit der Uhr und dem Gutschein nichts anfangen kann und auch genug Porzellan hat. Deshalb biete ich ihm meine Arbeitsleistung an, Scheune reinigen, Pferde striegeln etc. Aber er scheint nicht recht an meine Fähigkeiten als Stallbursche zu glauben und sagt mir, dass er das lieber selber mache.
Also sitzen wir uns eine Zeitlang schweigend gegenüber, bis mir plötzlich einfällt, dass ich ja auch noch die fünf Bücher Mose im Rucksack habe, die mir die jüdische Synagoge in der Ukraine gegen das Buch aus dem orthodoxen Kloster eingetauscht hatte. Ich bin mir sicher, dass sie ihn nicht interessieren, aber falsch. Er findet den Tausch sehr attraktiv und würde sich gerne in die Thora einlesen.
Es ist kaum zu glauben, aber Ronald tauscht tatsächlich sein Pony gegen die Fünf Bücher Mose. Ich frage ihn nach dem Motiv für diesen großzügigen Tausch, da er für ihn rein materiell nicht sehr vorteilhaft ist. Er erklärt mir, dass er gerade zu viele neugeborene Ponys habe und somit problemlos eines davon eintauschen kann. Schließlich gehen wir zur Weide, um Hansi zu holen. Klingt eigentlich simpel. Man steigt über einen Zaun, bindet Hansi einen Strick um und dann wieder ab. So einfach wäre das – wäre Hansi gezähmt. Einmal mehr lerne ich, dass Tier-Tauschaktionen gründlich
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