Wikinger der Liebe
beschwerlichen Leben hatte er gelernt, wie leichtfertig es wäre, die Instinkte zu ignorieren, die ihn vor einer Gefahr warnten. Eine Bedrohung in seiner eigenen Halle, inmitten seiner Leute? Nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich. Er kannte alle Männer, die vom königlichen Hof nach Hawkforte gekommen waren. Da er an ihrer Seite gekämpft und Mühsal und Hoffnungen mit ihnen geteilt hatte, besaßen sie sein Vertrauen. Diese Aristokraten, Alfreds getreueste Untertanen, bauten England wieder auf; und Hawk war stolz, weil er zu ihnen gehörte.
Und die anderen? Er schaute an Daria vorbei - wie üblich sehr schnell, weil er nicht gern an sie erinnert wurde. Auch Vater Elbert erregte seine Aufmerksamkeit nur flüchtig. Diesen mürrischen Hauspriester wollte er durch einen anderen Kaplan ersetzen, war aber noch nicht dazu gekommen. Nun musste er nur noch ein paar Kaufleute inspizieren, die auf der Durchreise waren und die er nur teilweise kannte. Und natürlich die Dienstboten seiner abwesenden Verlobten - das Trio am anderen Ende der Halle.
Eigentlich hatte er beschlossen, die junge Frau nicht mehr zu beachten. Aber jetzt fand er ihren Anblick seltsam erfrischend, als würde er über eine kühle Waldlichtung wandern. Er glaubte sogar, Wassertropfen zu spüren, die von moosbedeckten Felsen herabfielen. Bis er dieses intensive Gefühl abschütteln konnte, dauerte es eine Weile. Verärgert über sein unerwünschtes Interesse an der Dienerin, beobachtete er ihre Begleiter. Die schwarz gekleidete Frau nagte gerade ein paar kleine Knochen ab. Vermutlich stammten sie von den gebratenen Tauben, die an diesem Abend aufgetischt wurden. An ihrer Seite schlürfte Thorgold sein Ale.
Als er den Blick des Lords bemerkte, prostete er ihm mit seinem Becher zu. Das entging der jungen Frau nicht, und sie spähte in die gleiche Richtung. Obwohl sie weit entfernt saß, sah Hawk das Blut in ihre Wangen steigen. Hastig schaute sie weg - ein wildes Verlangen raubte ihm den Atem. Verblüfft riss er sich zusammen. Er war kein liebestoller Grünschnabel mehr, den schöne Augen und eine wohlgeformte Gestalt um den Verstand brachten, sondern ein vernünftiger, disziplinierter Mann. Trotzdem hatte er plötzlich das Gefühl, die Jahre würden von ihm abfallen und er wäre wieder ein unreifer Junge, von den ersten geheimnisvollen Regungen seines Körpers verwirrt.
Welch ein Unsinn. Geradezu wahnwitzig, denn wie er sich zum hundertsten Mal sagte, war dieses reizvolle Geschöpf Lady Krystas Dienerin. Selbst wenn seine Braut die personifizierte Güte wäre, könnte sie das verrückte Benehmen ihres künftigen Gemahls in eine zweite Daria verwandeln. Und die Vorstellung, er wäre für sein restliches Leben an eine kreischende Xanthippe gekettet, die noch dazu seine Zeit und Aufmerksamkeit beanspruchen dürfte, erfüllte ihn mit heilsamem Entsetzen. Irgendetwas musste geschehen. Sollte er seine Verlobte auffordern, das Trio heimzuschicken? Hier würde sie alle Dienstboten antreffen, die sie brauchte. Aber voraussichtlich zog sie die Gesellschaft vertrauter Leute vor, und die Ehe stünde von Anfang an unter einem Unstern, wenn sie sich unglücklich und einsam fühlte, nur weil er ihre Wut und Eifersucht fürchtete. Seufzend überlegte er, wie viele Haarbänder er kaufen müsste.
Sein sichtlicher Ärger bedrückte Krysta, und sie fragte sich, was ihn stören mochte. Warum hatte er sie so seltsam angestarrt, bevor er sie ignorierte? Bei jenem Blick war ihr ganz warm ums Herz geworden. Wie ungewöhnlich, dass jemand solche Empfindungen wecken konnte, indem er sie einfach nur betrachtete. Und diesen Jemand würde sie heiraten - ein angenehmer Gedanke, der heiße Leidenschaft und innere Ruhe zugleich bewirkte. O ja, Lord Hawk rief die widersprüchlichsten Emotionen in ihr hervor, weil er sie immer wieder so merkwürdig ansah - am Strand, in seiner Halle, in ihren Träumen. Ursprünglich hatte sie geplant, ihm aus dem Weg zu gehen, damit er in seiner Braut nicht die Dienerin wiedererkennen würde, die ihr angeblich vorausgeeilt war. Mit dieser Möglichkeit musste sie nun rechnen. Wie sollte sie das Täuschungsmanöver erklären? Konnte sie’s einfach als Scherz abtun und ihn umschmeicheln, in der Hoffnung, er würde ihr verzeihen? Beide Möglichkeiten missfielen ihr. Aber wahrscheinlich blieb ihr nichts anderes übrig. Und wenn er sie lieben lernte, spielte es ohnehin keine Rolle.
Jedenfalls begehrte er sie, das wusste sie in der Tiefe ihrer Seele. Aber
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