Wikinger der Liebe
vergangenen Abend, jenes zauberhafte Geschöpf aus Meeresschaum und Sonnenlicht. An die Stelle dieser beiden trat eine ernsthafte, schlicht gekleidete junge Frau, die Wangen und die Stirn leicht gebräunt. Nachdenklich blickte sie vor sich hin. Sie wirkte traurig. Plötzlich empfand er das Bedürfnis, sie aufzuheitern. Ohne sich zu fragen, ob er diesem Impuls auch wirklich folgen sollte, durchquerte er den Raum und kniete neben ihr nieder. »Hat Edvard dich ermüdet?«
Verblüfft über seine unverhoffte Anwesenheit, hielt sie den Atem an. Obwohl er auf den Knien lag, erschien er ihr so groß, so stark. Sein Haar klebte am Kopf, die Bartstoppeln des vergangenen Tages verdunkelten sein Gesicht. Wie verschwitzt und schmutzig er aussah und einfach wundervoll... »O nein. Warst du die ganze Zeit auf dem Turnierplatz, Hawk?« Ohne lange zu überlegen, hatte sie sich zu der vertraulichen Anrede entschlossen.
Darüber freute er sich. Krystas leise Stimme durchströmte ihn wie eine Liebkosung. »Bis jetzt. Hast du alles gesehen?«
»Ja, ich denke schon«, erwiderte sie und lächelte schwach. »Edvard war sehr gründlich.«
»Das ist er immer.« Hawk erhob sich, und sie rückte beiseite, um ihm auf der Fensterbank Platz zu machen. »Was hältst du von Hawkforte?«
»Nun - die Festung ist sehr groß«, erwiderte sie hastig, bevor seine Nähe ihre klaren Gedanken verscheuchen konnte.
»Findest du?« Erstaunt runzelte er die Stirn. »Winchester ist wesentlich größer.«
»Kaum zu glauben. Mein Heim - mein früheres Heim - würde in eine Ecke dieser Burg passen. Und wenn mein Bruder auch eine riesige Festung bewohnt, leben dort längst nicht so viele Menschen wie hier.«
»Vor einiger Zeit war ich in Sciringesheal, eine ausgedehnte Stadt und ein geschäftiger Hafen.«
Krysta zögerte. Dann siegte ihre Neugier. Diese Gelegenheit musste sie nutzen, um etwas mehr über ihren zukünftigen Gemahl zu erfahren. »Stimmt es, dass du dorthin gesegelt bist, um deine Schwester zurückzuholen?«
Forschend schaute er sie an, aber er wirkte kein bisschen verärgert. »Wird das behauptet?«
»Allerdings, und an meinem ersten Abend auf Hawkforte sang der Barde ein Lied davon.«
»Ja, ich fuhr nach Sciringesheal, um Wolf zu töten. Nachdem er meine Schwester entführt hatte, fürchtete ich, sie wäre gestorben oder müsste schrecklich leiden. Deshalb wollte ich das Blut dieses Mannes an meinem Schwert sehen.«
»Und warum blieb er am Leben?«
»In einem Zweikampf hätten wir einander womöglich getötet. Aber Cymbra versicherte mir, sie sei glücklich und flehte mich an, ihr zu glauben. Stattdessen dachte ich, sie würde lügen, um mich zu schützen, lockte sie an Bord meines Schiffs und segelte heimlich mit ihr davon.« Hawk seufzte. »Ich rechne ihr hoch an, dass sie mir verzieh, ebenso wie Wolf, als er hierher reiste, um seine Frau zurückzuerobern. Damals kam er auf die Idee, die Norweger müssten ein Bündnis mit den Sachsen schließen, und er sicherte sich Alfreds Beistand. Den Rest der Geschichte kennst du.«
Zumindest konnte sie sich einiges zusammenreimen. Voller Begeisterung hatte Alfred das Bündnis und die Ehen begrüßt, die es festigen sollten. Was immer Hawk auch für die echte , vornehme Lady empfinden mochte, er würde sich niemals den Wünschen seines Königs widersetzen. »Ich freue mich über das Glück deiner Schwester und Lord Wolfs«, erklärte sie wahrheitsgemäß und verschwieg ihre Hoffnung auf ein ähnliches Schicksal.
»Ja, die beiden lieben sich sehr.« Nur stockend kamen die Worte über seine Lippen, als würde er solche Gefühle nicht verstehen, als wäre Liebe ein Begriff aus einer rätselhaften Fremdsprache.
Bleischwer sank neue Trauer in Krystas Seele. Doch sie ließ sich nichts anmerken. Wäre sie mutiger, würde sie ihn fragen, ob er an die Liebe glaubte. Doch sie fürchtete seine Antwort. Solange sie sich nicht Gewissheit verschaffte, durfte sie wenigstens träumen.
»Inzwischen habe ich über die Flintergründe deiner Maskerade nachgedacht«, verkündete Hawk.
Krampfhaft schluckte sie und wartete.
»Hast du’s tatsächlich nur getan, um mich besser kennen zu lernen?«
Sie nickte und holte tief Luft. »Damals fand ich meinen Plan vernünftig.«
Würde er sie verspotten ? Oder durfte sie Hoffnung schöpfen ?
»Vielleicht war dieser Gedanke gar nicht so unsinnig.«
Krysta hob die Lider. Erst jetzt merkte sie, dass sie die Augen geschlossen hatte, um stumm zu beten. »Meinst du das
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