Wikinger meiner Traeume - Roman
erreichte alle, die an Bord und auf dem Kai standen, »Ihr hattet von Anfang an vor, den Kelch verschwinden zu lassen, zu behaupten, er sei entwendet worden, und ihn zu verkaufen. Den zweifellos beträchtlichen Gewinn wolltet Ihr den Männern, die Eure Reise bezahlt hatten, vorenthalten. Und da Olav seiner Familie Schande gemacht hatte, dachtet Ihr, man würde nicht an seiner Schuld zweifeln.«
»Nein, das tat ich nicht! Ich schwöre...«
Gnadenlos fuhr der Jarl fort: »Als Olav den Kelch aus dem Wasser zog, beobachtete ich seine Miene, und ich bin mir sicher – er hat ihn nie zuvor erblickt. Niemand sah ihn Euer Quartier betreten oder den Kai verlassen, Trygyv. Für seinen Diebstahl gibt es keinen Beweis. Andererseits habt Ihr den Schatz in Eurer Reichweite verwahrt. Also nahmt Ihr an, Ihr müsstet einfach nur warten, bis Euer Schiff auslaufen würde, und ihn dann im Schutz der Dunkelheit an Bord holen. Dabei hätte Euch niemand ertappt.«
»Das könnt Ihr nicht beweisen«, erwiderte Trygyv. Aber seine Stimme zitterte, und er erweckte den Eindruck eines
Verzweifelten, der sich in seiner eigenen Schlinge gefangen hatte.
»Nein«, bestätigte Dragon freundlich. »Doch das ist auch gar nicht nötig.«
Nun trat Olav vor. Bewundernd und respektvoll schaute er zu seinem Retter auf. »Niemals hätte ich den Kelch im Meer gesucht.«
»Nachdem alle anderen Möglichkeiten wegfielen, war das die einzige. Hier...« Dragon drückte den Kelch in die Hand des verdutzten Burschen. »Bring diesen Schatz und Master Trygyv zu deinem Vater nach Hedeby. Erzähl Ragnar, was geschehen ist, und überlass es ihm, die Ereignisse zu beurteilen.« Dann wies er auf die Besatzung, die ausnahmslos zufrieden grinste. »Diese Männer werden deinen Bericht bestätigen. Und richte Ragnar von Hedeby aus, ich würde ihn zu seinem tapferen, stolzen Sohn beglückwünschen, der seinem Namen alle Ehre macht. Wenn er keine passende Braut für dich findet, werde ich mich darum kümmern.«
Diesen Worten folgte gellendes Freudengeschrei, und ein paar kühne Mädchen in der großen Menschenmenge am Kai unterbreiteten dem Jungen entsprechende Angebote. Da färbten sich seine Wangen feuerrot. Aber er war sichtlich geschmeichelt.
Dragons Rede war noch nicht beendet. »Ach ja, Olav – da du den Kelch aus dem Meer gezogen hast, gehört er von Rechts wegen dir. Ich vertraue dir und erwarte, du wirst den Verkaufserlös mit Master Trygyvs Geldgebern teilen.«
Offenbar vermochte Olav – kurz zuvor noch des Diebstahls angeklagt und mit dem Tod bedroht – nicht zu fassen, dass er sich plötzlich in einen ehrbaren, reichen Mann verwandelt hatte. Angesichts seiner Verwirrung musste Rycca lachen. Und sie platzte beinahe vor Stolz auf ihren Gemahl. Wie leicht hätte er den Kelch aus dem Wasser holen und für sich selbst beanspruchen können... Stattdessen schenkte er
ihn einem Jungen, der ihn viel dringender brauchte und dem der wertvolle Schatz zu einer gesicherten Zukunft verhelfen würde. Gab es einen besseren Beweis für seinen edlen Charorakter?
Genauso dachten auch Dragons Leute, denn sie jubelten ihm lauthals zu, während er das Schiff verließ. Lächelnd nahm er den Applaus entgegen. Doch sein Blick suchte Rycca, die ihm von Bord gefolgt war, und sie ergriff seine Hand. Seite an Seite kehrten sie in die Festung zurück.
Beim Abendessen hielten sie sich nicht lange auf. Dass sie sich schon bald zurückzogen, bewog die Krieger des Jarls zu Gelächter und ermutigenden Bemerkungen. Nur Magnus saß schweigend an der Tafel, scheinbar in Gedanken versunken. Als Rycca aufstand, warf er ihr einen kurzen Blick zu. Über ihren Rücken lief ein seltsamer Schauer, den sie aber sofort vergaß, vom warmherzigen Lächeln ihres Mannes beglückt.
Kaum hatten sie die Halle verlassen, nahm er sie auf die Arme. Mit großen Schritten trug er sie zu seinem Heim. Kichernd klammerte sie sich an seine breiten Schultern. »Falls du es noch nicht weißt – ich kann gehen.«
»Nicht so schnell wie ich«, erwiderte er ernsthaft. Offenbar kam es ihm auf die wenigen Sekunden an, die sie länger gebraucht hätte, um das Haus zu erreichen.
Bevor sie darüber nachdenken konnte, trat er gegen die Tür, die hinter ihm in Schloss fiel. Keine einzige Kerze brannte. Nur das Mondlicht erhellte den Raum. Dragon stellte seine Frau neben dem Bett auf die Füße. Hastig zog er sich aus. »Früher fiel es mir niemals schwer, mich zu beherrschen. Aber je öfter ich dich liebe, desto eher
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