Wikinger meiner Traeume - Roman
neuen Heimat brauchte sie einfach nur Zeit, um sich an die einschneidende Veränderung in ihrem Leben zu gewöhnen. Verdammt, er selber auch...
Sein Herz war genauso verwundbar wie ihres. Als Mann konnte er solche Schwächen leichter verbergen – und die Angst, die ihn immer noch quälte. Zweimal war Rycca vor ihm geflohen. Würde sie es wieder wagen?
Warum nicht? Es gab keinen Grund für die Vermutung, sie hätte sich mit ihrer Ehe abgefunden. Ganz im Gegenteil. Sie war klug und erfinderisch. Also musste er mit einem weiteren Fluchtversuch rechnen.
In dunkler Nacht, von düsteren Gedanken verfolgt, fand er endlich Trost. Seine Flotte lag im Hafen, zum Aufbruch bereit. Bevor seine widerspenstige Gemahlin Männerkleider anziehen, über eine Klippe fallen oder in einen Fluss springen konnte, würde er sie an Bord eines Schiffs bringen. Verdammt wollte er sein, wenn ihm das nicht gelingen würde.
Nachdem er diesen Plan geschmiedet hatte, seufzte er erleichtert, und er schlief sogar ein wenig, ehe die grauen Finger der Morgendämmerung die Nacht verscheuchten.
»Schon so bald?«, fragte Krysta. Die Stirn gerunzelt, schaute sie von Dragon zu Rycca hinüber, die still und in sich gekehrt neben ihm saß. Sie frühstückten in der Halle. Inzwischen waren alle anderen Leute hinausgegangen. Nach einem
kurzen Blick auf ihren scheinbar gleichgültigen Ehemann fuhr sie fort: »Ich dachte, ihr würdet etwas länger bleiben.«
»Normalerweise würde ich deine Einladung annehmen«, erwiderte Dragon höflich. »Aber Wolf, Cymbra und unser Volk können es kaum erwarten, Rycca kennen zu lernen.«
»Das verstehe ich natürlich. Aber würde es auf ein oder zwei Tage ankommen?« Hoffnungsvoll lächelte Krysta die beiden Männer an. »Dann würden Rycca und ich genug Zeit finden, für ihre Garderobe zu sorgen.«
»Garderobe?«, fragte Dragon.
»Garderobe?«, echote Hawk.
»Ich habe keine Garderobe«, erklärte Rycca verwundert. Dies waren die ersten Worte, die sie seit dem Beginn der Mahlzeit aussprach.
Da sie in den letzten Tagen nur wenig gegessen hatte, verspürte sie einen wahren Heißhunger. Nicht einmal alles Leid dieser Welt vermochte ihren Magen für längere Zeit lahm zu legen. Und vielleicht regte die Abreise der Mercier am frühen Morgen ihren Appetit noch an. Dass Wolscroft es nicht nötig gefunden hatte, sich von seiner Tochter zu verabschieden, überraschte sie nicht. Sie war sogar froh, weil er ihr seinen neuerlichen Anblick erspart hatte. Nun erschien ihr die Vorstellung, sie könnte Kleider oder sogar eine Garderobe besitzen, völlig absurd. Verblüfft ließ sie das Stück Käse sinken, in das sie soeben gebissen hatte.
»Genau das meine ich«, entgegnete Krysta. »Du brauchst was zum Anziehen.« Als sie Ryccas verständnislose Miene bemerkte, wandte sie sich zu Dragon. »Siehst du das denn nicht ein? Soll Rycca in unpassender Kleidung vor deine Landsleute treten?«
»Daran habe ich nicht gedacht...«
»Du erstaunst mich, Dragon. Gerade du, der die Frauen kennt! Wie kannst du etwas so Wichtiges vergessen?«
»Hm – vermutlich war ich – zu beschäftigt.«
»Nirgendwo wirst du so schöne, erstklassige Stoffe finden wie hier, feines Leinen, erstklassige Wolle, edle Gewebe aus dem Osten – alles, was ein weibliches Herz begehrt.«
»Zwei Tage«, entschied Dragon, der stets erkannte, wann er sich geschlagen geben musste. So lange konnte er sich notfalls die Zeit vertreiben. »Wollen wir auf dem Turnierplatz unsere Kräfte messen, Hawk?« Sekunden später scharrten Stuhlbeine über den Boden.
Mit Krysta allein gelassen, gestand Rycca: »Ich habe keine Ahnung, was zu einer Garderobe gehört.«
»Oh, mach dir deshalb keine Sorgen. Das weiß ich sehr gut. Und du willst doch«, fügte Krysta viel sagend hinzu, »dass er stolz auf dich ist.«
Mit diesem Argument traf sie den Nagel auf den Kopf. Wenn Rycca auch bezweifelte, eine Ehefrau aus einer so nichtswürdigen Familie würde Dragon jemals mit Stolz erfüllen, schöpfte sie neue Hoffnung. Und so gab sie sich ohne Zögern in Krystas Obhut.
Zwei Tage später fragte sie sich, ob das ein kluger Entschluss gewesen war. Sie fühlte sich todmüde, ihre Beine schmerzten, weil sie bei den Anproben stundenlang hatte stehen müssen, und die Welt schien nur noch ein Farbenmeer und exotische Stoffe zu enthalten. So etwas hatte sie nie zuvor gesehen. Feinstes Leinen und weiche Wolle bildeten nur den Anfang. Da gab es Materialien, von deren Existenz sie erst jetzt
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