Wikinger meiner Traeume - Roman
werden den Schiffen entgegenfliegen, um uns zu begrüßen. Und das Meer wird die Farbe wechseln, denn da oben ist es viel tiefer. Wenn wir den Kiefernduft riechen, sind wir zu Hause.«
Ein Zuhause hatte sie nie gekannt. Aber er. Und die Visionen, die er heraufbeschwor, erschienen ihr so machtvoll, dass sie die Bilder mit eigenen Augen zu sehen glaubte. »Du rührst mich nicht an.« Gegen ihren Willen hatte sie die Worte ausgesprochen. Erschrocken biss sie in ihre Unterlippe, bis sie blutete.
»Nicht«, mahnte er fast flehend. Mit einer Fingerspitze wischte er den winzigen roten Tropfen weg. Sein Mund streifte ihren, nur ganz leicht. Aber es genügte ihr, um ihn zu schmecken.
»Bald werde ich dich umarmen«, versprach er und weckte heiße Sehnsucht.
Am nächsten Nachmittag sichteten sie Land. Es geschah ganz plötzlich. Zumindest gewann Rycca diesen Eindruck. Eben noch war die Welt völlig blau gewesen, eine Mischung
aus Himmel und Meer. Und im nächsten Augenblick schimmerte sie grün, von weißen und grauen Streifen durchzogen. Der Kontrast wirkte atemberaubend. Wie es Dragon vorhergesagt hatte, schwirrten Vögel über den Schiffen, um sie willkommen zu heißen. Die Männer warfen ihnen Fische zu, lachend beobachteten sie die Möwen und Seeschwalben, die herabsausten, fast ins Wasser tauchten wieder emporschwebten. Bald wetteiferte der Salzgeruch mit dem würzigen Duft fruchtbarer Erde und hoch aufragender Kiefern.
Fasziniert sah Rycca die hoch aufragenden Berge. Die Welt schien aus den Fugen zu geraten, nicht mehr flach, mit sanften Hügeln, an die sie gewöhnt war. Sogar im Sommer lag hier Schnee in den Felsspalten hoher Gipfel. Da und dort, an den Hängen und in den Tälern dazwischen, entdeckte sie goldene Felder, die in der Sonne reiften, grünes Weideland, dunkle Wälder. Glitzernd im Sonnenlicht, griffen die Finger des Meeres in die Furchen der Berge, als wollten sie ihnen die Vorherrschaft streitig machen. Gewiss, ein schönes Land – und doch ein Land, in dem einem nichts geschenkt wurde.
Dragon stand neben seiner Gemahlin am Bug des Drachenschiffs. »Jenseits der Ebene von Jæren, im Osten, liegt die Festung meines Bruders. Zwischen seiner und meiner Residenz kontrollieren wir die Küste, die Jütland gegenüberliegt. Seit die Dänen uns zuletzt angriffen, sind mehrere Jahre verstrichen. Zweifellos sind sie ehrgeizige, habgierige Männer, aber auch vernünftig. Wie sie mittlerweile herausgefunden haben, ist der Handel viel einträglicher als ein Krieg. Und dass sie’s nicht vergessen – dafür sorgt das Bündnis zwischen den Angelsachsen und Norwegern.«
»Ach, würden die Dänen den Engländern das bloß auch lehren...«
»Deshalb musst du dich nicht sorgen, denn Alfred ist ein tüchtiger Lehrer.«
Darüber lächelte sie, wie er es erhoffte-denn er verfluchte sich, weil er die Dänen erwähnt hatte. Offenbar litt sie immer noch unter dem Grauen jener Nacht. Aber mit der Zeit und bei sorgsamer Pflege konnten alle seelischen Wunden heilen, sogar ältere.
Jetzt ertönten Signalhörner auf den Wachttürmen von Landsende, um die Heimkehrer zu begrüßen, und Dragons Herz schlug höher. Die Schiffe waren nahe genug an die Küste herangekommen, so dass sie am Wasserrand und auf den Feldern mehrere Leute sahen, die den Besatzungen zuwinkten. In beängstigend schneller Fahrt glitten die Schiffe in den Fjord, bis sie den Kai fast erreicht hatten und Dragon mit seiner durchdringenden Stimme einen Befehl erteilte. Sofort wurden die Segel eingeholt, die Ruder hoben sich aus dem Wasser und bespritzten die Männer. Alle drei Drachenschiffe stießen sanft gegen den steinernen Wall.
Inzwischen hatten sich zahlreiche Menschen im Hafen versammelt, mit lebhaftem Beifall feierten sie das seemännische Kunststück, und beim Anblick ihres Jarls jubelten sie noch lauter. Die Wachtposten schlugen mit ihren Schwertern gegen die Schilde, Männer und Frauen stampften begeistert mit den Füßen auf den Boden. Schreiende Kinder rannten umher, Hunde bellten, Hähne krähten, und die allgemeine Freude war grenzenlos.
Bis man die Frau an Dragons Seite bemerkte.
Wissen sie denn nicht, warum er nach England gefahren ist, fragte sich Rycca, während der Jubel langsam erstarb. Sie mussten doch annehmen, dass er eine Braut heimführen würde. Oder hatten sie geglaubt, irgendetwas würde die Heirat verhindern? Beinahe wäre es geschehen. Das würden sie hoffentlich niemals erfahren.
Nun lag tiefe Stille über dem Kai, und
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