Wikinger meiner Traeume - Roman
die vielen hundert Augenpaare, die Rycca anstarrten, nahmen ihr den Atem. Trotzdem straffte sie die Schultern, den Kopf hoch erhoben.
Angelsächsischer Stolz, ermahnte sie sich und sog die fremde Luft tief in ihre Lungen.
Nur zu gut kannte Dragon sein freundliches, aber vorsichtiges Volk. Er wusste, die Leute würden einer angelsächsischen Braut mit gemischten Gefühlen begegnen, trotz der Wertschätzung, die Lady Cymbra genoss. Da man sie für einzigartig hielt, wies nichts darauf hin, wie man Rycca aufnehmen würde.
Sicher war es am besten, wenn er möglichst schnell für klare Verhältnisse sorgte. Sein Blick fiel auf Sleipnir und Grani, die gerade vom benachbarten Drachenschiff geführt wurden. Während sich ein halbes Dutzend Reitknechte um die Pferde kümmerte, wichen die Zuschauer zurück. Nach über einer Woche an Bord und nur zwei Gelegenheiten, die überschüssigen Energien an Land loszuwerden, zeigten die beiden Füchse ihr wildes Temperament. Ungeduldig scharrten sie mit den Hufen, warfen die mächtigen Köpfe zurück und erweckten den Eindruck, sie würden jeden Augenblick durchgehen.
»Möchtest du reiten, Rycca?«, fragte Dragon. Ohne eine Antwort abzuwarten, hob er sie hoch und trug sie vom Schiff auf den Kai. Schweigend zog sich die Menge noch weiter zurück. »Das will ich hoffen«, fuhr er fort, als wäre er mit seiner Frau allein. »Ziehst du Sleipnir oder Grani vor? Wahrscheinlich magst du beide.«
»O ja«, stimmte sie zu, dankbar für die Ablenkung von der drückenden Stille.
Aufmunternd lächelte er sie an. »Wie ich bereits festgestellt habe, bist du eine ausgezeichnete Reiterin. Traust du dir zu, eines dieser Ungeheuer zu bändigen, nachdem sie tagelang eingesperrt waren?«
Ohne zu zögern, erwiderte sie seinen Blick. »In der Tat, ich reite sehr gut. Und sie sind gewiss keine Ungeheuer.«
Da vertiefte sich sein Lächeln. Als er mit ihr zu den Pferden
ging, beruhigten sie sich ein wenig, stießen ihn aber mit den Nüstern an und versuchten, ihm irgendwelche Leckerbissen zu entlocken. »Benehmt euch!«, befahl er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Sofort standen sie still, und er setzte Rycca auf Granis Rücken. »Halt die Zügel fest«, murmelte er, »und mach ihm klar, dass du seine Herrin bist.«
Ihre Augen strahlten, und sie vergaß die prüfenden Blicke der Leute, die immer noch stumm und reglos dastanden. Zärtlich tätschelte sie Grani, versicherte ihm, er sei wundervoll – diese Meinung teilte er – und merkte nicht, wie sich die Stimmung in der Menschenmenge änderte. Der Argwohn wich maßlosem Staunen. Aufgeregt sprang ein Kind vor und zeigte in die Richtung der fremden Reiterin, bis es von seiner Mutter zurückgezerrt wurde. Erwachsene Männer sperrten Mund und Nase auf, und so manche Krieger, die geglaubt hatten, nichts könnte sie erschüttern, reckten die Hälse, damit sie das Ereignis besser beobachten konnten. Das alles nahm Dragon voller Genugtuung wahr, im Gegensatz zu seiner Frau.
Unbefangen ritt sie neben ihm den Kai entlang und die Straße zur Festung hinauf. Es dauerte eine Weile, bis sie die Menge bemerkte, die ihnen folgte, das immer dichtere Gedränge am Wegesrand. Endlich wurde das drückende Schweigen gebrochen, ringsum erklang gellendes Stimmengewirr.
Unsicher, wie sie sich verhalten sollte, streichelte sie Grani noch einmal und lachte, als er zu galoppieren versuchte. »Noch nicht«, mahnte sie und zügelte ihn mühelos. »Aber bald...« Sie schaute zu Dragon hinüber. »Wenn du’s erlaubst?«
»Morgen reiten wir aus, und dann darfst du nach Herzenslust galoppieren.« Erfreut und sogar belustigt, erwiderte er ihren Blick.
»Das verstehe ich nicht. Erst waren deine Leute so still und jetzt...«
Plötzlich jubelten sie wieder, die Frauen nickten anerkennend, und die Männer warfen sogar ihre Kappen in die Luft. Kreischende Kinder rannten neben den Füchsen her, wagten sich aber nicht zu nahe heran.
»Habe ich schon erwähnt, dass bisher immer nur ich diese beiden geritten habe?«, fragte Dragon grinsend.
Rycca traute ihren Ohren nicht. »Sonst niemand?«
»Nur ich«, bestätigte er. »Einige meiner Krieger haben es probiert, und alle wurden abgeworfen.« Zu Rycca hinübergeneigt, flüsterte er: »Vielleicht hätten sie die Zügel fester gehalten, wenn sie an Höhenangst leiden würden.«
Da brach sie in Gelächter aus – ein übermütiges, kindliches Gelächter. Erst jetzt verstand sie, warum er sie auf Grani zur Festung reiten
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