Wikinger meiner Träume
Geheimnis. Aber allem Anschein nach tat sie ihr Bestes. Und die gemeinsamen Nächte, die seltenen Stunden, die er ihr tagsüber widmen konnte, erregten Gefühle, die er nie zuvor gekannt hatte.
Hinterging sie ihn tatsächlich? War das die Frau, die sein Bett so hingebungsvoll teilte, die neben ihm an der herrschaftlichen Tafel saß und die Herzen seiner Leute gewonnen hatte? Hegte sie einen verborgenen Groll, der sie zu diesen bösartigen Anschlägen veranlasste? Und warum mochte sie das alles aushecken?
Der Lord of Wolscroft hasste den englischen König. Und Alfreds Friedenspolitik hing nicht zuletzt vom Erfolg der norwegisch-angelsächsischen Ehen ab. Rycca war Wolscrofts Tochter - und glich ihm so wenig wie der Tag einer dunklen Nacht. Zweifellos verabscheute sie ihren Vater. Um ihm zu entrinnen, hatte sie sogar eine unerwünschte Ehe akzeptiert.
Oder steckt etwas anderes dahinter, fragte sich Dragon.
Bin ich das Opfer eines niederträchtigen Täuschungsmanövers?
War sie nur zum Schein vor der Hochzeit geflohen? Hatte sie ihre Angst vor dem Vater und die Freude über ihre Befreiung von dem grausamen Mann gespielt? Hütete sie sein Erbe in einer schwarzen Seele?
Nein, es musste seine Bitterkeit sein, die ihn mit so unwillkommenen Gedanken peinigte. Selbst wenn sich seine Befürchtungen bewahrheiten, wenn sie ihm schaden wollte, würde das nicht erklären, warum sie sich mit ihrer Zerstörungswut in Gefahr brachte.
Oder glaubte sie ihn zu kennen? Dachte sie, er würde ihr nichts antun? Vermutete sie, ihr würde nichts Schlimmeres zustoßen als die Rückkehr zu ihrer Familie? Darin würde Wolscroft eine schwere Beleidigung sehen und von Alfred verlangen, das Bündnis zwischen den Norwegern und Sachsen zu lösen. Strebte Rycca dieses Ziel an?
Offenbar war er zu lange in Byzanz gewesen, und diese Hauptstadt der Intrige und des Betrugs hatte seine Denkweise verdorben.
Und doch - sein Verdacht könnte sich bestätigen. So schmerzlich es ihn auch treffen würde, mit dieser Möglichkeit musste er rechnen.
Sie würde sich vor ihm verantworten müssen - und vor seinen Leuten. Auch sie hatten ein Recht auf die Wahrheit.
Von solch düsteren Gedanken belastet, betrat der Jarl seine Halle. Dort versammelten sich die Leute, sobald sich herumgesprochen hatte, Rycca sei gefunden worden. Zuerst traten seine Krieger ein, darunter Magnus. Die anderen Festungsbewohner folgten ihnen auf den Fersen. Dann erschienen die Männer und Frauen aus der Stadt.
Dragon setzte sich auf seinen Stuhl. Seiner Gemahlin bot er keinen Platz an. Das hatte sie erwartet.
Nur zu gut wusste sie, was jetzt geschehen würde. Wenn sie auch davor zurückschreckte... Der Held eines fremden Landes - ihr Ehemann, vor dem sie geflohen war, um ihn dann in ihrem Schoß und ihrem Herzen willkommen zu heißen - würde über sie Gericht halten.
Die Ängste in ihrer Seele nahm sie kaum wahr. Dafür war sie dankbar. Sie begrüßte die seltsame Benommenheit, die sie erfüllte wie der Nebel das schwindende Tageslicht im Hof. Und hinter den wirbelnden Schleiern in ihrem Innern würde sie einen wichtigen Teil ihres Ichs verstecken.
»Rycca...«
Aus diesen Tiefen tauchte sie nur weit genug auf, um zu merken, dass Dragon mit ihr sprach. Seine Worte verstand sie nicht.
»Ich habe dich gefragt, was geschehen ist.«
»Das sagte ich bereits«, erwiderte sie leise. Undeutlich hörte sie ihre eigene Stimme im Nebel.
»Du hast mir erzählt, jemand sei im Stall über dich hergefallen. Den Angreifer konntest du nicht sehen. Du bist ohnmächtig geworden. Dann kamst du zu dir, meilenweit von Landsende entfernt.«
Als sie nickte, gewann sie den Eindruck, unsichtbare Fäden würden ihren Kopf auf und ab bewegen.
»An deinen Händen klebt Pech.«
Langsam hob sie ihre Finger, die jemand anderem zu gehören schienen. Ringsum erklang gedämpftes Stimmengewirr.
»Wie ist das Pech auf deine Hände geraten?«
»Keine Ahnung.« Wer ihr Ehemann war, wusste sie auch nicht mehr. Vergeblich suchte sie sich an die spielerische Intimität der gemeinsamen Nächte zu erinnern, an die Liebeslust in seinen Armen, die ihr jene himmlische Freiheit geschenkt hatte. Das alles verschwand in Nebelwolken.
»Hast du keine Erklärung dafür?« Dragon runzelte die Stirn und erregte wieder Ryccas Mitgefühl. Aber es verflog sofort, vom Grauen dieses Augenblicks verscheucht.
Nun steckte sie in einer grässlichen Klemme. Wie sollte sie ihre Unschuld beweisen, wenn alles gegen sie sprach? Der
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