Wikingerfeuer
Kreuz, kein Altar.
Die Tiere meckerten leise. Es war, als lachten von Ferne jene Mörder, denen er in der Gluthitze der Hörner von Hattin entkommen war.
Er musste sich am Türpfosten abstützen und die von seinem Lauf noch schweißfeuchten Haare aus der Stirn wischen. Nur einen Augenblick nachdenken …
Die Zeit verrann; bald würden die Wikinger heraufstürmen, und er besaß nur das Schwert eines Mädchens.
Das Portal der Kirchentür war mit einem Relief verziert; er erkannte Drachenköpfe in den verschlungenen Mustern. Er hieb die Klinge hinein, sodass sie griffbereit steckenblieb, und erklomm die Wand, zog sich das Satteldach hinauf und stellte sich auf den First. Über das darüberliegende Dach hinweg konnte er in alle Richtungen blicken. Es sah nicht danach aus, als befände sich auf dieser Felseninsel eine weitere Siedlung. Oder sie war jenseits der niedrigen Bergkette in westlicher Richtung. Im Norden, hinter dem Silberstreifen des Meeres, erstreckten sich weitere Inseln der Shetlands. Nur wenige Schritte hinter der Kirche, in Richtung der Inselmitte, auf einer von Bächen durchzogenen Ebene, sah er die bleichen Knochen eines Pferdes. Vielleicht war das arme Tier ein Opfer an die nordischen Götter gewesen.
Er war an einem verfluchten Ort. An einem gottverlassenen Ort.
Die Verfolger rannten den Hügel herauf. Rouwen machte, dass er wieder herunter und an das Schwert kam. Als er es aus dem Holz zog, erwog er flüchtig, im Kampf zu sterben. Vielleicht hatte Gott ihn hierher geführt, damit sein Tod diesem Ort seine Würde zurückgab. Er, ein Christ, ein Templer, würde für Christus sterben.
Die Finger seiner geschundenen Hand umklammerten den Schwertgriff so fest, dass sie schmerzten.
Nein. Ein schier unmenschlicher Lebenswille hatte ihn dem Massaker von Hattin entkommen lassen. Den konnte er nicht abwerfen, selbst wenn er es gewollt hätte.
Es war Yngvarr, der als Erster herangestürmt kam und abrupt stehen blieb, die Arme ausgebreitet, damit seine Schar ihm gehorchte und hinter ihm blieb. In einer Hand hielt er eine Kampfaxt, in der anderen ein Messer.
»Lösegeld hin oder her«, sagte er kühl lächelnd. »Ich habe kein Problem damit, dich hier und jetzt zu töten. Also mach keine weiteren Dummheiten und ergib dich.«
Er ließ die Schultern kreisen, bereit zum Kampf. Zehn, zwölf Männer standen im Halbkreis hinter ihm, alle bis an die Zähne bewaffnet und keineswegs müde von dem Lauf.
Rouwen warf ihm Rúnas Schwert vor die Füße.
Die Nachricht ging von Mund zu Mund: Es ist nur eine Meile bis zum See Genezareth! Eine Meile bis zum Wasser. Rouwen schmeckte Asche auf der ausgedörrten Zunge. Ringsum hatten die Truppen Saladins die Sträucher auf Hattins Feldern angezündet. Die Luft selbst schien zu brennen. Wie alle Brüder des Templerordens und auch die Angehörigen der Hospitaliter und der Johanniter hockte Rouwen in voller Rüstung auf der Erde. Unter dem Gambeson, dem Kettenhemd, dem Waffenrock und dem weißen Mantel des Ordens fühlte er sich lebendig begraben. Seine rechte Hand umschloss den Griff seines Anderthalbhänders. Den Schild, auf dem das rote Tatzenkreuz unter den Blutspuren der getöteten Heiden fast nicht mehr zu sehen war, hatte er an seine Seite gelehnt. Seine linke Hand griff nach dem Rosenkranz am Gürtel. Mit dem Plattenhandschuh war es kaum möglich, die Perlen zu ertasten.
Er war ein Geschenk seiner Mutter. Einen Rosenkranz darf ein Armer Ritter Christi besitzen , hatte sie ihm zum Abschied gesagt. Und er hatte sich dazu verstiegen, ihr eine wunderschöne Halskette aus dem Heiligen Land zu versprechen. Wie ein siegreicher Feldherr war er sich damals vorgekommen, nur weil er in den Übungseinheiten immer der Beste gewesen war. Elender Hochmut.
Rings um sich vernahm er Gebete. Die Stimmen der Anderen klangen rau vom Durst. Er selbst vermochte das Paternoster nur flüsternd zu rezitieren, denn ihm klebte die Zunge am Gaumen. Zwei Ave Maria; beim dritten entglitten ihm die Gedanken in Richtung des kommenden Morgens. In aller Frühe würden sie einen Ausfall in Richtung des Sees wagen. Es war ein sinnloses Unterfangen. Der Tod wartete auf sie alle. Sie waren entkräftet von diesem entsetzlichen Durst. Die Sarazenen würden sie alle einfach abschlachten …
Irgendwo klapperte etwas. Rouwens Kopf ruckte hoch. Er riss die Augen auf. Da war kein Kreuzfahrerheer. Kein brennendes Feld ringsum, kein rauchgeschwärzter Himmel. Wach auf, Rouwen, wach auf. Du bist nicht mehr im
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