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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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ums Überleben.
    Ich schilderte meine Abneigung gegen alles. Den Wald, das Gras, in dem es von Insekten wimmelte, die Parasiten, die in den Matten und Decken lebten.
    Ob sie mir wohl glaubten, dass ich nur in den Hubschrauber gestiegen war, um dem Dreck und dem Hunger zu entkommen? Dass ich die Kleider der Jägerin gefunden und einfach angezogen hatte, weil ich es nicht mehr aushielt und endlich nach Hause wollte?
    Was glaubte ich, was mit Savannah geschehen war? Dass die Wilden ihr die Kleidung vom Leib gerissen hatten, weil sie ein hübsches Mädchen war? Ich sagte, dass ich diesen fürchterlichen Menschen alles zutraute. Ich widersprach mir selbst und erinnerte daran, dass sie nach strengen Regeln lebten und es nicht wagen würden, die Regs zu verärgern.
    Ich log, aber eigentlich log ich nicht – was wusste ich davon, was sie mit Savannah gemacht hatten, sobald ich weg war? Würden die Männer gnädig mit ihr verfahren, mit Jakobs Mörderin?
    »Es reicht«, sagte Happiness, die mit ihrer Wanderung innehielt. »Das Mädchen fällt gleich vom Stuhl.«
    Es erschreckte mich selbst, wie viel von dem, was ich sagte, keine Lüge war. Meine Abscheu vor dem Leben im Wald. Die Fremdheit, das Unglücklichsein, das Heimweh.
    »Was ist mit meinen Freunden passiert?«, fragte ich mitten in eine Pause hinein, während Frau Zuckermann wieder auf und ab marschierte und Stiller sich zurücklehnte und seine Daumen umeinander kreisen ließ. »Was ist mit Moon und Lucky?«
    Sein Gesicht hatte einen Graustich. Oder die ungünstige Beleuchtung war daran schuld. Jedenfalls fand ich, dass er furchtbar aussah, als er sich über den Tisch beugte, während sein Gesicht und sein zerrupfter Bart mir näherkamen. Ich sah die roten, blutenden Punkte an seinem misshandelten Kinn.
    »Niemand weiß, dass du hier bist, Peas«, sagte er zu mir. »Weder deine Eltern noch sonst jemand, der dich kennt. Was sollte mich daran hindern, dich verschwinden zu lassen?«
    Mein Herz setzte einen Moment aus. Er sprach nicht davon, das Tor zu öffnen und mich zurück zu den Wilden zu schicken. Er sprach von Eisentüren, die sich hinter mir schlossen, von Räumen ohne Fenster und ohne Hoffnung. Von Beton und grellem Licht und festgeschraubten Möbelstücken.
    Seine Augen waren so kalt und schrecklich wie die eines Jägers, für einen Moment wurde er zu einer dunklen Gestalt, die vor meinem Versteck stehengeblieben war und mich fixierte.
    Und auf mich anlegte.
    Diesmal fand ich keine Kraft zum Kämpfen. Ich wurde klein und schwach vor seinem Blick, und die Finsternis in mir ballte sich zusammen zu einem Stein. Ich konnte nicht einmal darüber nachdenken, ihm irgendetwas an den Kopf zu werfen. Nur etwas in mir, geboren in der Nacht meiner Angst, in dem bitteren Geschmack auf meiner Zunge, dachte: Ich will ihn umbringen. Wenn ich ihn nur umbringen könnte. Wenn nur.
    »Lass gut sein, Wart«, sagte Happiness, aber da klopfte es sehr offiziell an die eisenbeschlagene Tür, und sie ging hin und steckte den Kopf hindurch, tuschelte mit jemandem und verschwand.
    »Meine kleine Peas«, zischte Stiller mich an, sobald wir allein waren. »Was sollte mich daran hindern, dich in einer Zelle verdorren zu lassen? Drei mal drei Meter, ein Metallbett, ein dünnes Laken. Immerzu frieren. Der Fraß, den man vorgesetzt bekommt, lohnt die Mühe der Verdauung nicht.«
    Ich wollte nicht wissen, was in seinem Kopf vor sich ging, das Einzige, was ich mir wünschte, war, dass er mich in Ruhe ließ.
    »Es ging um mein Kind«, sagte er, während auf dem Flur Stimmen laut wurden. »Mein Sohn. Calvin Stiller-Frühlingswetter. Es gab keine Niere mehr für ihn, weil du und deine dämliche Freundin den Spender aus dem Fenster geworfen haben.«
    Ich wusste sofort, wovon er sprach. Die Liste. Die Namen. Calvin S Bindestrich Frühlingswetter.
    »Ihr Sohn?«, fragte ich, ich versuchte, ein Kind vor mir zu sehen, einen Jungen mit den gleichen kalten, drohenden Augen. Aber ich sah nur Marty vor mir. Und Phil. Phil, klein und schmal auf dem Bett. Und Stars Tränen.
    »Der Spender? Er hieß Phil, und er war Stars Bruder, und Sie hatten kein Recht …«, fing ich an, und dann begriff ich plötzlich. »Sie haben sie erschossen! Sie haben Star in den Rücken geschossen! Sie haben sie umgebracht!« Er war dort gewesen, am Tor. Ich hatte ihn nicht gesehen, aber Orion schon, Orion, der im Dunkeln sehen konnte wie eine Wildkatze.
    »Wer sagt, dass sie tot ist?«
    Wenn sein Lächeln nicht so kalt gewesen wäre,

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