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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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einem verschlossenen Schrank, in dem ich die Proben vermutete. Der Schlüssel steckte.
    War es ein Zufall? Oder ließen sie ihn immer stecken? Ein altmodischer Metallschlüssel, kein Kartenschloss wie üblich.
    Ich drehte ihn um.
    Aus dem Flur ertönten eindeutige Knutschgeräusche.
    Ich griff nach dem Glas mit dem Aufkleber »Morbus V«. Öffnete den Deckel. Was sollte ich damit tun? In die Adern spritzen? Einatmen? Trinken?
    Ich schnupperte daran, roch nichts. Eine träge Flüssigkeit, leicht trübe und dicklich. Mein Instinkt riet mir davon ab, mich damit zu befassen. Riet mir dringend, ganz dringend zur Flucht.
    Meine klaren Gedanken schwiegen vor Schreck. Aber ich hatte die Entscheidung längst getroffen, und so nahm ich einen kräftigen Schluck und stellte das Glas wieder zurück.
    Schloss den Schrank mit zittrigen Fingern. Jetzt war mir erst recht übel.
    Ich ging hinaus zu den beiden. »Seid ihr fertig?«
    Die beiden lösten sich voneinander. Felix grinste dümmlich, Moon wischte sich über die Lippen. In ihren dunkelblauen Augen wohnte kein Glück. Eher noch Triumph.
    »Du hast da drin doch nichts angestellt?«, fragte sie.
    »Nein, natürlich nicht«, sagte ich und horchte in mich hinein. Begann die Krankheit schon? Musste ich husten? Ja, am liebsten hätte ich gehustet, mich übergeben, alles wieder ausgebrochen. Es hatte wie Wasser geschmeckt, aber mir war, als würde ich den bitteren, dumpfen Geschmack des Todes auf meiner Zunge spüren.
    Ja, immer schön theatralisch bitte, sagten meine klaren Gedanken. Wie bissig sie sein konnten, wie mitleidslos. Stell dich nicht so an, sagten sie. Wie willst du sonst jemals wieder nach Hause? Das ist der einzige Weg. Du wirst wohl ein paar Tage husten und schmerzende Glieder ertragen können, oder? Pia, die in der Wildnis leben will, ha, du Weichei.
    »Lass uns gehen«, sagte ich zu Moon. »Bevor du mit dem armen Felix sonst was anstellst.«
    Der bedauernswerte Felix grinste erneut; er schien nichts dagegen zu haben, wenn Moon irgendetwas mit ihm anstellen wollte.
    Mir war mittlerweile so schlecht, dass ich die Zähne zusammenbeißen und das Würgen unterdrücken musste.
    Bevor Symptome auftraten, konnte ich nichts unternehmen, deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als wieder nach Hause zu gehen.
    »Willst du bei uns übernachten?«, fragte Moon. »Deine Eltern denken doch, du bist bei mir.«
    »Hast du keine Angst?«, fragte ich sie.
    »Es ist nicht über die Luft übertragbar«, sagte sie. »Sonst hätten sie uns niemals im Unterricht damit arbeiten lassen. Ich werde mich also nicht anstecken. Außerdem bekommst du nur die Symptome, stimmt’s? Du wirst also gar nicht richtig krank werden, es wird nur so wirken. Komm, lass uns ein letztes Mal zusammen abhängen. Schauen wir uns einen netten Film an, was meinst du?«
    Meine Handflächen schwitzten. Begann es so? Jetzt juckte es an meinem Bein. Mein Rücken kribbelte. Jede noch so kleine Regung meines Körpers schien mir verdächtig. Verheißungsvoll. Erschreckend.
    Moons Eltern waren wie immer nicht da, und wir verkrochen uns in ihre Etage und machten es uns gemütlich.
    Sie wählte den Film aus, ich entschied, was wir essen wollten. Mit Decken und Kissen bauten wir uns ein Lager auf dem Sofa, ganz so wie früher. Allerdings fehlte mir der Appetit, und mein Mund war trocken. Schweiß perlte von meiner kalten Stirn.
    »Du siehst furchtbar aus«, stellte Moon fachmännisch fest.
    »Danke. Du nicht.« Du bist schön, fügte ich in Gedanken hinzu. So schön wie immer.
    »Soll ich dich ins Genesungshaus bringen, wenn es los geht?«
    »Lieber nicht«, sagte ich. »Sonst nehmen sie dich noch fest, zur Untersuchung.«
    »Jetzt wirst du deinen neuen Freund gar nicht treffen«, bedauerte sie.
    »Ja, wie schade.« Ich hatte auch die nächten zehn Nachrichten ungelesen gelöscht.
    Wir schwiegen. Der Film lief jenseits meiner Wahrnehmung, Musik plärrte im Hintergrund.
    Ich werde nicht sterben, sagte ich mir. Ich werde nicht einmal richtig krank werden.
    Doch in mir war das tiefe, mir seit meiner Geburt anerzogene Entsetzen vor dem Kranksein.
    Du wirst es überleben, kleine Erbse. Meine Gedanken bedienten sich Orions Stimme. Es wird hart, aber es geht vorbei.
    Ich wollte mich in diese Stimme hineinschmiegen, sie um mich wickeln wie eine Decke gegen Regen und Kälte und Sturm.
    Du hast gut reden, Soldat, antwortete ich ihm. Heute war ich zu krank, um mich gegen seinen Namen zu wehren und gegen sein Gesicht, das zu mir kam. Du

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