Wild (German Edition)
nach Orions Arm. »Komm, wollen wir nicht zu Dr. Händel …«
»Mir geht es gut!«, zischte Orion und schüttelte Lucky ab. »Lasst mich in Ruhe!«
»Das war nicht nett«, murmelte ich, und mich überlief ein Schauder. Niemand in Neustadt war jemals unfreundlich.
Ich wechselte einen Blick mit Lucky, der dem Sportler nachdenklich nachsah.
»Er ist gewöhnt, sich an Spielregeln zu halten«, sagte er leise. »Was bedeutet das für uns, wenn er erkennt, was mit ihm los ist?«
Auf dem Weg zur Bushaltestelle konnten wir nicht frei sprechen. Moon ging zwischen uns, hatte sich bei Lucky und mir untergehakt und schloss die Augen. Der Wind spielte in ihrem glänzenden dunklen Haar. In ihren schwarzen Wimpern glitzerten Schmuckkristalle. Ich hatte noch nie das Gefühl gehabt, sie beschützen zu müssen – immer war sie die Starke gewesen, die mich vor meiner Ungeschicklichkeit retten musste. Doch heute wünschte ich mir, ich könnte sie vor der Dunkelheit bewahren, die Lucky und ich in uns trugen. Ich wünschte mir, dass sie keinen von uns verlieren musste.
Und ich wünschte mir, ich könnte so glücklich sein wie sie.
Als ich Orion über den Hof schlurfen sah, die Sporttasche über der Schulter, fiel mir auf, dass er humpelte, und ich verspürte ein ungutes Gefühl des Bedauerns.
»Es ist gar nicht Zeus?«, fragte Moon leise. Sie hatte die Augen wieder geöffnet, ihre roten Lippen kräuselten sich zu einem sanften, wissenden Lächeln. »Es ist Orion?«
»Geht schon mal vor, ich komme gleich nach«, sagte ich schnell.
Moons blickte mich voller Wärme an. »Er ist sehr hübsch«, sagte sie. »Jupiter hat nur herumgealbert, das weißt du, nicht wahr? Manche Athleten sind einfach in jeder Hinsicht vollkommen. Ich wünsche dir Glück.«
»Danke«, sagte ich leise.
Bestimmt war sie neugierig, was sich in meinem Liebesleben tat, doch sie ließ sich von Lucky weiter zur Bushaltestelle ziehen.
Weniger dankbar war ich für die ausdrückliche Aufforderung in seinem Blick, diese Chance sofort zu nutzen. Warum wollte er mich ständig herumkommandieren? Schließlich lag es an mir, ob ich Orion noch genauer überprüfen wollte oder nicht.
Vor Moon konnten wir nicht streiten, daher ergab ich mich in mein Schicksal und eilte Orion nach, der auf den vordersten Bus zusteuerte.
»He, Sportsfreund«, rief ich. »Warte mal.«
»Du schon wieder. Verfolgst du mich?« Er sah stur weiter geradeaus.
Er vergaß sogar zu lächeln.
»Du hinkst«, sagte ich. »Also warst du nicht bei Dr. Händel.«
»Wüsste nicht, was dich das angeht.«
»Hast du dir wirklich nichts verstaucht oder gebrochen oder so?«
»Nein«, knurrte er.
»Ich kann ja verstehen, dass du nicht gut auf mich zu sprechen bist«, sagte ich. »Aber kannst du trotzdem wenigstens für einen Moment stehenbleiben, damit ich mit dir reden kann?«
Seine grünen Augen wirkten unruhig, aber vielleicht bildete ich mir das auch bloß ein.
»Fühlst du dich irgendwie komisch?«, fragte ich direkt.
Wenn er Bescheid wusste, würde ihn diese Frage erschrecken. Wenn nicht, würde er es einfach auf den Sturz beziehen. Gespannt wartete ich auf seine Reaktion.
Er verzog verächtlich die Lippen. »Komisch? Du springst mir vor die Füße, versaust uns den Angriff und verhinderst, dass wir vor Ende der Pause den Ausgleich schaffen, und dann fragst du, ob ich mich komisch fühle?«
»Ich wollte dich nur bitten, nicht zum Arzt zu gehen«, sagte ich. »Damit ich keinen Verweis erhalte. Das ist wirklich wichtig für mich, meine Noten sind schon schlecht genug.«
Er musterte mich aus smaragdgrünen Augen, aber ich hatte keine Ahnung, ob er mich durchschaute.
»Na gut«, sagte er, umrundete mich und winkte dem Bus zu, der gerade anfuhr. Doch der Busfahrer hielt und öffnete die Tür wieder. Es musste schön sein, ein wichtiger Sportler zu sein.
Ich selbst hatte nicht so viel Glück. Als ich an meiner eigenen Haltestelle ankam, war der Bus längst fort.
»Hey.« Lucky trat hinter der Wartesäule hervor.
»Wo ist Moon? Weg? Sie ist doch nicht wirklich ohne dich abgefahren?«
Sein schuldbewusstes Lächeln sprach Bände. »Ich hab sie ausgetrickst. Bin wieder raus, gerade als die Türen sich geschlossen haben.« Er machte eine Kopfbewegung zum Schulhof hin. »Und Orion? Wird er zum Arzt gehen? Weiß er Bescheid?«
»Er sollte mehr lächeln«, meinte ich. »Wenn ihm das gelingt, sollte es keine Probleme geben. Hauptsache, er hält die ganze Woche durch.«
»Alle anderen waren normal«,
Weitere Kostenlose Bücher