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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Phils Namen verraten konnte. »Wegen der Hausaufgaben.«
    »Unfälle liegen im zweiten Stockwerk.«
    »Sind wir da nicht?«, fragte ich und setzte mein dämlichstes Grinsen auf. »Ich hab euch doch gesagt, ihr sollt im Lift nicht alle durcheinanderreden!«
    »Ja, tut mir leid«, murmelte Lucky.
    »Tja, dann gehen wir mal«, sagte ich, »danke schön noch.«
    Ich zog Star am Ärmel in Richtung Fahrstuhl, doch sobald die Genesungshelferin verschwunden war, kehrten wir wieder um.
    »Schnell«, keuchte Lucky, als sich erneut jemand mit laut hallenden Schritten ankündigte. »Hier herein.«
    Es war ein Raum mit Medikamenten und anderem Zeug, das sich bis an die Decke stapelte. Hinter der halb offenen Tür warteten wir, bis die Schritte vorüber waren, dann schlüpften wir wieder hinaus auf den Gang.
    »Eigentlich ganz schön ungerecht«, flüsterte ich, »dass man nicht mal seine eigenen Verwandten besuchen darf.«
    Star presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.
    Wir huschten über das bläuliche Linoleum, bis wir schließlich vor Zimmer 418 standen. Keiner traute sich so recht, die Tür zu öffnen. Ich streckte schließlich die Hand aus, doch Star schob mich beiseite und drückte die Klinke herunter.
    Zwei Betten standen in dem nüchternen, weiß gestrichenen Raum. In einem lag ein an unzählige Geräte und Monitore angeschlossener kleiner Körper. Ohne auf irgendetwas anderes zu achten, trat Star auf dieses Bett zu.
    Ich dagegen wurde von dem Anblick des zweiten Patienten gefangen genommen. Er war wach und betrachtete uns überrascht. Der Junge war ungefähr in Phils Alter, neun oder zehn, und hatte auffällig weißblondes Haar. Unter der weißen Bettdecke, mit seinem bleichen Gesicht sah er aus wie ein kleines Gespenst.
    »Was macht ihr hier?«, flüsterte er, und allein dieser kurze Satz strengte ihn so an, dass er nach Luft rang.
    »Wir besuchen Phil«, sagte ich und setzte mich zu ihm auf die Bettkante. In diesem Moment kam mir der schreckliche Gedanke, er könnte vielleicht an einer ansteckenden Krankheit leiden, und ich wollte schnell wieder abrücken, doch da umschlossen die kleinen, kalten Finger mein Handgelenk.
    »Bleib ruhig sitzen«, wisperte er. »Du hast schöne Haare.«
    »Braun wie Erdnussbutter.« Ich versuchte, nicht zu Star hinüberzublinzeln, die sich leise stöhnend über ihren Bruder beugte.
    Lucky stand bewegungslos am Fußende des Bettes und machte ein Gesicht wie ein Schüler, der gleich den Stoff des ganzen letzten Halbjahres hersagen muss.
    »Ich mag Erdnussbutter.« Auch dieser kurze Satz kostete ihn einen Hustenanfall.
    »Weißt du, wie es Phil geht?«, fragte ich den Jungen. »Was haben die Ärzte über ihn gesagt?«
    »Ich bekomme sein Herz«, flüsterte er. »Sie bereiten schon alles vor.«
    »Was?«
    Der Ausruf kam über meine Lippen, bevor ich ihn zurückhalten konnte. Meine Freunde sahen zu mir herüber. Ich wollte ihnen signalisieren, dass alles in Ordnung war, aber ich vermochte es nicht. Mein Mund wollte mir kaum gehorchen, als ich nachhakte.
    »Du bekommst … Aber er lebt doch noch! Er liegt im Koma, er könnte sich doch wieder erholen, oder nicht?«
    »Ich krieg das Herz«, wiederholte der fremde Junge, der immer noch seine Hand um meinen Arm krallte. »Und weil ich so tapfer bin, darf ich mit nach draußen, wenn alles vorbei ist.«
    »Nach draußen?«
    »In die Wildnis«, flüsterte er. »Ich darf mitfliegen und bei der Jagd dabei sein.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete. Aber obwohl er so klein und schwach war und ständig hustete, glomm in seinen blauen Augen etwas auf wie ein Feuer. Vorfreude. Schrecken. Angst. Von allem etwas.
    »War er ein netter Junge?«, wollte er wissen. Seine Hand lag klein und kalt in meiner. Mich fröstelte.
    »Ja«, sagte ich. »Das ist er.«
    Er nickte und schloss die Augen.
    Ich senkte meine Stimme. »Tut er dir nicht leid?«, fragte ich. Niemandem tat irgendjemand leid, aber ich wollte es genauer wissen. Ein ungeheurer Verdacht stieg in mir auf.
    »Doch, schon«, flüsterte er, öffnete die Augen wieder und warf einen schnellen, ängstlichen Blick zum anderen Bett hinüber. »Aber ich bin wichtiger, sagt mein Vater, wichtiger als einer von denen.«
    Der Griff um mein Gelenk verstärkte sich. Dieses Kind hielt sich für etwas Besseres als Phil, aber ich konnte es ihm nicht übelnehmen. Ich spürte seine Angst, in dieser kleinen, schweißnassen Hand.
    Richtige Angst.
    Dieser Junge wusste, was es hieß, sich zu fürchten, selbst

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