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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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sagte Lucky. »Wenn Star sich auch noch zusammenreißt, könnten wir es schaffen, ohne dass irgendeiner von uns in der Wildnis landet. Unauffälligkeit ist die Devise. Hast du ihr die Besuchsgeschichte ausgeredet?«
    Um uns herum sammelte sich eine neue Schülertraube, die mit uns auf den nächsten Bus wartete. Ich beschloss, dass dies eine gute Gelegenheit wäre, um Lucky in mein Versprechen einzuweihen. Vor so vielen Zeugen konnte er mich schließlich nicht erwürgen.
    »Äh, leider nein«, meinte ich, »ich habe ihr schwören müssen, dass wir Phil heute noch besuchen.«
    Lucky fielen fast die Augen aus dem Kopf. Fassungslos starrte er mich an. »Bist du verrückt?« Seine Unterlippe bebte, und vielleicht hätte er mich jetzt gerne gepackt, geschüttelt und angebrüllt. Ein wütender Lucky war etwas Neues für mich. Er war so voller Energie, dass er mich an die Sportler erinnerte, an Männer, die über das Spielfeld stürmten und dabei alles umrissen, was ihnen in den Weg geriet. Seltsamerweise hatte ich Lucky nie in einer Reihe mit Orion oder Zeus gesehen. Es war, als hätte sich der wilde Lucky die ganze Zeit bloß hinter dem witzigen, küssenden, charmanten Lucky versteckt.
    »Was ist?«, herrschte er mich an, als er merkte, wie ich ihn anstarrte.
    »Du bist so anders«, platzte es aus mir heraus.
    »Natürlich bin ich jetzt anders!« Er war immer noch wütend auf mich.
    »Es gefällt mir«, sagte ich, und plötzlich machte mich dieses Geständnis so verlegen, dass ich ihn nicht mehr ansehen konnte.
    Lucky schwieg so lange, dass ich schon glaubte, er wollte mich damit bestrafen.
    Zögernd blickte ich ihn wieder an, und er überraschte mich mit einem Lächeln: kein witziges oder charmantes Glückslächeln, sondern ein seltsames, herausforderndes Lächeln, wie eine Verzerrung in seinem Gesicht. »Du hast recht«, meinte er. »Wir können diese Zeit nicht nur damit zubringen, uns zu verstecken und nichts zu tun.«
    »Ich will jeden Tag etwas Außergewöhnliches tun«, sagte ich. »Etwas, das ich noch nie getan habe und nie wieder tun werde. Und ich habe schon eine Idee, wie wir ins Genesungshaus reinkommen.«
    »Gut«, sagte er, und in seinen Augen glomm etwas auf, gefährlich und intensiv. »Ich auch.«

9.
    Ich holte Star von zu Hause ab. Ihre Mutter öffnete mir die Tür. Frau Lichtl war anscheinend gerade erst von der Arbeit gekommen, denn sie trug noch eine Schutzbrille, die sie sich in die blondierten Haare geschoben hatte.
    »Hallo«, strahlte sie mich an. »Und du bist …?«
    »Eine Freundin von Star«, sagte ich höflich. »Ist sie da?«
    »Ja, natürlich. Star!«, trällerte sie in die Wohnung hinein. Ich fand ihre Fröhlichkeit zum Kotzen, unterdrückte aber den Impuls, sie an den Schultern zu packen und zu schütteln. Dafür war mein Mundwerk schneller als mein Verstand.
    »Phil liegt todkrank im Genesungshaus«, sagte ich. »Stört Sie das denn gar nicht?«
    Einen Moment, so kurz, dass ich es mir vielleicht auch nur einbildete, wirkte Frau Lichtl erschrocken. Aber sie fasste sich schnell wieder. »Oh, das wird schon«, meinte sie munter, »nicht wahr, meine Liebe?«
    Star, die mit grimmigem Gesicht aus ihrem Zimmer stapfte, schürzte verächtlich die Lippen. »Lass uns gehen.«
    Sie würdigte ihre Mutter keines Blickes. Obwohl mich der unerschütterliche Optimismus der armen Frau Lichtl eben noch selbst aufgeregt hatte, sah ich mich jetzt genötigt, sie zu verteidigen.
    »Deine Mam kann nichts dafür«, sagte ich. »Wenn wir unsere Welle bekommen hätten, wäre uns das auch so ziemlich egal.«
    »Halt die Klappe!«, fuhr Star mich an.
    Hatte ich vielleicht ein kleines bisschen Dankbarkeit erwartet, dafür, dass ich ihr half? Nun, das konnte ich mir wohl abschminken.
    Wir fuhren mit dem Lift hinunter ins Erdgeschoss und stiegen in die vierte Linie der Straßenbahn. Keiner von uns sprach. Finster starrte Star durch die Scheiben. Ich sah mich selbst darin gespiegelt – ein Mädchen mit unbeweglicher Miene. Das war gut. Ich wollte nicht, dass man mir ansah, was ich fühlte, und doch kam es mir vor, als würde Star gerade deswegen so abweisend sein. Weil ich ein Gesicht hatte wie jemand, dem alles egal war.
    Meine Gesichtszüge entglitten allerdings meiner Kontrolle, als wir ausstiegen und Lucky uns an der Haltestelle entgegentrat. Es war immer noch der neue Lucky mit diesen neuen Augen, die mich ganz durcheinanderbrachten. Früher waren sie einfach nur braun gewesen, jetzt schienen sie zu glänzen und

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