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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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»Vielleicht ist es ein Hologramm. Bloß ein Bild. Was meint ihr? Sie brauchen keine Puppe. Nur ein altes Foto von Phil, wenn die Leiche nicht passabel genug aussieht.«
    »Du meinst, er sieht in Wirklichkeit schlimmer aus?«, wisperte Star.
    »Natürlich sieht er schlimm aus«, meinte Moon wenig taktvoll. »Er ist vom Gerüst gestürzt, schon vergessen? Sie tun das für die Angehörigen. Damit man die Toten in Erinnerung behält, so wie sie vorher ausgesehen haben.«
    »Er ist nicht tot.« Star strich über das rosige Gesicht ihres Bruders. »Er liegt nicht da drin. Das heißt, er ist nicht tot!«
    »Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber sie haben bloß ein anderes Bild darüber projiziert.« Lucky klang verständnisvoll, aber unerbittlich. »Star, hör damit auf. Wir wissen, wie schlimm er verletzt war. Aber wenigstens konntest du noch im Genesungshaus Abschied nehmen.«
    »Da ist er nicht drin«, beharrte sie.
    »Doch, ist er.«
    »Nein.«
    »Oh doch. Sag ihm Lebewohl, und wir gehen in die Halle zurück. Deine Eltern brauchen dich.«
    Ich überließ es ihm, auf sie einzureden, und sah mir in der Zwischenzeit genau den Sarg an. Vielleicht war auch meine Oma, wie ich sie in Erinnerung hatte, bloß ein Hologramm gewesen. Ihre rosa Zuckerwattelocken. Das feine Lächeln. So schön hatte ich sie gefunden. Hatte sie in Wirklichkeit ganz anders ausgesehen?
    »Ich glaube nicht, dass sie den Deckel mitverbrennen«, sagte ich. »Er ist nicht angenagelt. Hier sind bloß ein paar Scharniere und ein kleines Schloss. Es ist bestimmt zu teuer, ihn jedes Mal mit einzuäschern. Der Sarg hat dieselbe Größe wie bei meiner Oma, obwohl Phil viel kleiner ist. Vielleicht nehmen sie einfach immer denselben und programmieren für jede Feier ein neues Bild ein.« Ich tastete die Kante ab. »Hier ist eine kleine Schalttafel, unter der Klappe.«
    »Er ist nicht tot«, murmelte Star vor sich hin. »Wir müssen ins Genesungshaus zurück. Er ist noch dort.«
    »Sie wird erst Ruhe geben, wenn wir ihr gezeigt haben, dass sie sich irrt«, meinte Lucky. »Kriegt man diesen blöden Deckel irgendwie auf?«
    »Ein elektronisches Buchstabenschloss«, sagte ich. »Wahrscheinlich braucht man ein Passwort, um es zu öffnen.« Ich gab auf gut Glück ein Wort ein: »Phil«. Fehlanzeige. Dann fiel mir ein, dass sie den Deckel für jede Beerdigung benutzten und die Angestellten der Glückshalle sich wohl kaum für den Namen der Leiche interessierten. Als Nächstes versuchte ich es mit »Glück« – auch nicht.
    Lucky kam um den Sarg herum und schaute mir über die Schulter. »Wie wäre es mit Glücksstrom ?«
    Ich gab die Buchstaben ein, ein leises Klacken ertönte, und das Scharnier sprang zurück. Gemeinsam hoben wir den Deckel an. Er war schwer, und nur mit vereinten Kräften gelang es uns, ihn ein Stück hochzuschieben.
    »Aber …«, sagte Star.
    »Wer ist das denn?«, fragte Moon.
    Ich schrie auf und sprang zurück, und Lucky ließ den Sargdeckel wieder fallen. Mit zitternden Händen brachte ich das Scharnier wieder in Position.
    »Wer war das?«, wiederholte Moon.
    Im Sarg lag eine Leiche, aber nicht die von Phil. Es war überhaupt kein Kind, sondern ein Mann. Ein schon etwas älterer Mann mit einem glänzenden kahlen Schädel. Ich kannte ihn nur mit einem Kranz dichter brauner Haare, aber das war offenbar ein Toupet gewesen.
    »Das, äh …«, krächzte ich, aber mein Mund war plötzlich trocken und ich konnte kaum weitersprechen.
    Mein Hustenanfall zog die Aufmerksamkeit der anderen auf sich, und alle starrten mich plötzlich erwartungsvoll an. Entschuldigend lächelte ich, bevor ich mich zu Lucky beugte.
    »Du kennst ihn?«, fragte er.
    Ich räusperte mich und fing noch mal an. »Das ist Luther. Der Arbeitskollege meines Vaters. Er hatte einen Unfall mit Morbus Fünf. Sie wollten ihn doch in die Wildnis schicken!«
    »Wo ist Phil?«, jammerte Star. »Im Genesungshaus? Wir müssen nachsehen!«
    »Zuerst einmal«, sagte ich und versuchte, meine wirbelnden Gedanken im Zaun zu halten, »gehst du zu deinen Eltern und hörst dir mit ihnen die Musik an. Kein Wort, verstanden? Du sagst ihnen gar nichts. Wir wissen nicht, ob Phil noch lebt oder was sie mit seiner Leiche gemacht haben, und du machst ihnen keine Hoffnung, kapiert? Geh. Jetzt. Moon, würdest du sie begleiten, bitte?«
    »Komm, Star«, sagte Moon freundlich und legte dem Mädchen den Arm um die Schultern. »Lassen wir die zwei kurz mal allein, ja?«
    »Was hast du vor?«, fragte Lucky,

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