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Wild (German Edition)

Wild (German Edition)

Titel: Wild (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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reden wollte. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Morgen würde es wahrscheinlich losgehen, spätestens übermorgen.
    »Tücher?«, fragte ich entsetzt. »Stoffstreifen? Und ich muss sie auch noch selbst auswaschen?«
    »Meinst du etwa, ich sollte das tun?«, fragte Ricarda, ohne die Miene zu verziehen. »Du bist alt genug, um dich um deine eigene Wäsche zu kümmern. Wasch alles im See, im kalten Wasser. Du kannst die Streifen dort auch zum Trocknen aufhängen.«
    »Wo alle sie sehen können?« Ich war kurz davor, loszukreischen.
    »Sei froh, dass wir eine Frauenbadestelle haben, die den Männern verboten ist. Eine eigene Pia-Badestelle kann ich dir leider nicht anbieten.«
    Wenn Lucky nur hier gewesen wäre.
    Zusammen hätten wir darüber lachen können. Er hätte meine Hand genommen und mich angeschaut und gesagt: Du wirst doch nicht aufgeben, Pi, nur weil es hier kein abschließbares Badezimmer gibt? In seinen Augen hätte ich dieses Funkeln entdeckt, das den neuen, wachen Lucky auszeichnete, die unbändige Lust am Leben. Sammle jedes Gefühl, Pi, sagte er. Jeden Ärger, jede Regung Wut, jedes ehrliche Lachen. Für mich. Nimm alles mit, Pi, für mich.
    Weil er nicht hier war, musste ich für uns beide fühlen. Aber etwas mehr, hm, Spaß hätte ich dem hier vorgezogen. Meine Hände waren aufgeweicht und rau vom Schrubben der unangenehmsten Sorte Wäsche, die es auf dieser Erde gab, mein Herz erfüllt von Groll über die Ungerechtigkeit, ein Mädchen zu sein. Vermutlich würde Ricarda mich als Nächstes dazu zwingen, Fische auszunehmen oder zu nähen.
    Auf beides war ich nicht gerade scharf.
    Danach hatte ich eine Pause verdient, fand ich. Statt nach meiner Tagesaufgabe zu fragen, ging ich weiter am Ufer entlang. Jede Bewegung meiner bloßen Fußsohlen auf dem Gras rief ein neues Gefühl hervor. Es kratzte. Juckte. War glitschig. Die oberen Halme dagegen waren schon getrocknet, sie waren hart und rund und besaßen fedrige Wedel.
    Offenbar hatte ich den Bereich der Frauenbadestelle hinter mir gelassen, denn da saß Orion am Ufer.
    »Hey, kleine Bohne.«
    »Wie bitte?«, fragte ich und gab vor, ihn nicht zu verstehen.
    »Erbse? Es waren Erbsen, stimmt’s? Also nochmal: Guten Tag, kleine Erbse.«
    »Ich lache nicht«, sagte ich. »Hörst du mich etwa lachen?« Wenn er Jeska meinen richtigen Namen verriet, war ich erledigt.
    »Du kannst mich Stern nennen«, schlug Orion vor, während er seine behelfsmäßigen Krücken gegen den Baumstamm lehnte, der morgens den Anglern als Sitzgelegenheit diente.
    »Das hättest du wohl gerne. Meine Füße schließen gerade Freundschaft mit der Wildnis. Wag es nicht, mich zu stören.«
    Orion streckte sein Bein lang aus. Er hatte den strikten Befehl, sein Fußgelenk zu schonen, egal ob er die Schmerzen für bemerkenswert hielt oder nicht. Solange war er ans Lager gefesselt. Das störte ihn sehr; im Gegensatz zu mir wollte er sich unbedingt überall beteiligen und hatte es daher eilig, schnell gesund zu werden.
    »Jeska kam vorhin vorbei. Du sollst heute Pilze sammeln, soll ich dir ausrichten, falls ich dich sehe.«
    »Nicht schon wieder Pilze!«
    Sie auch nur anzufassen ekelte mich. Die Vorstellung, diese seltsamen, schwammigen Gebilde zu essen, erfüllte mich mit Graus. Dann lieber Kräuterkunde bei Lumina.
    »Denk einfach nicht drüber nach«, empfahl mir Orion. »Tu das, was alle tun, und fertig. Gestern habe ich zwei Körbe voll Pilze in Stücke geschnitten. Ich habe es überlebt, wie man sieht.«
    »Für dich ist alles so leicht«, beschwerte ich mich. »Das ist ungerecht. Macht es dir gar nichts aus, in diesem Dreck zu leben?«
    »Dreck?«, fragte er verwundert. »Wo ist hier Dreck? Ich sehe einen See, über dem Nebelschwaden liegen. Dieses komische Schnarren hinter uns kommt von den Elstern, und ich hab heute Morgen auch ein paar Gänse gehört.«
    Das hätte Lucky nicht schöner sagen können. »Gabriel hat mir verraten, dass es heute Mittag Gänsebraten geben wird, wenn unsere Schützen Erfolg haben.«
    Alle vermieden es, von Jagd und Jägern zu sprechen. Jäger, das waren die Regs. Unsere Leute dagegen besorgten bloß das Mittagessen. Sie waren Angler, Schützen oder Fallensteller, je nachdem, auf welche Weise sie der Natur Lebensmittel abrangen. Manche waren richtige Experten für das Sammeln bestimmter Arten von Speisen. Es gab »Wurzelgräber«, und eine Frau im Lager bestand sogar darauf, »Kornpulerin« zu heißen. Auch ihr hatte ich schon helfen müssen. Sie war

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