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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lane
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ergründen?
    Der Gedanke an Rowena in den Armen eines anderen Mannes ließ Black Otter einen Knoten in seiner Brust spüren. Er hatte sich dicht an die Öffnungen unter dem Reetdach gedrängt, um den Neuling genau in Augenschein zu nehmen. Im Laufe der Jahre hatte er eine gute Menschenkenntnis entwickelt. Um Rowenas willen, aber auch für sich selbst, hatte er hoffnungsvoll nach den Eigenschaften eines großen Führers gesucht – Tapferkeit, Weisheit, Selbstlosigkeit und Redlichkeit. Aber er sah nur Charakterschwäche in den Zügen des Mannes, Faulheit und Völlerei an dem überfütterten Körper. Und das Kostüm, das Black Otter zunächst für so prächtig gehalten hatte, erschien ihm nun nur noch grell und prahlerisch.
    War dies der Mann, der Ansprüche auf Rowena erheben durfte? Dieser herumstolzierende Gockel, dem der Bauch über den Gürtel hing? Black Otter öffnete seine Fäuste. Was machte es schon aus? Rowena bedeutete ihm nichts. Er würde sie benutzen, falls erforderlich, damit sie ihm half, diesen Ort zu verlassen. Danach würde er sie zurücklassen und nie wieder an sie denken.
    Wo ist sie?
    Mittlerweile war es Nacht geworden. Ruhelos streifte Black Otter auf dem Dachboden umher, wo er bleiben sollte, wie der Junge, der jetzt fort war, ihm bedeutet hatte. Black Otter rief sich noch einmal die Wörter ins Gedächtnis, die er im Laufe dieses Nachmittags gelernt hatte.
Pferd, Haus, Gras, Wagen, gehen, Mann, Frau
und viele, viele mehr – alles gute und nützliche Wörter. Und er hatte sich in der Gesellschaft des Jungen wohlgefühlt. Er war ein kluges Kind, vergnügt und als Lehrer geschickt. Aber Black Otter wurde bereits ungeduldig. Wann würde er die Sprache gut genug beherrschen, um sich frei in der Welt der Weißen bewegen zu können? Wie schnell würde er in der Lage sein, gut genug zu sprechen, um auf das große Boot zu gelangen, das ihn nach Hause bringen sollte. Einen Mond? Zwei Monde? Er raufte sich verzweifelt das lange Haar.
    Als er wieder nach draußen sah, wurde der Vollmond gerade über dem Haus sichtbar und tauchte das Land in sein fahles Licht. Er musste unwillkürlich wieder an Rowena denken, obwohl er alles versuchte, um es zu verhindern. War dies die Nacht, in der sie den neuen Häuptling zum Mann nahm? Teilte er womöglich gerade jetzt ihr Bett und lernte die volle Süße ihres reifen, sinnlichen Frauenkörpers kennen? Black Otter atmete stoßweise aus, gefoltert von der Vorstellung, wie ein anderer Mann zwischen jenen langen, schlanken Beinen lag. Es ist ohne Bedeutung, rief er sich in Erinnerung. Rowena gehörte nicht in seine Welt. Er gehörte nicht in ihre. Er konnte sie genauso wenig lieben wie ein Falke eine Schwalbe.
    Aber dennoch hatte er sie berührt – vertraulich berührt, und wusste, dass sie ihn genauso begehrte wie er sie. Jetzt, allein in der Dunkelheit, da er an seine Heimat denken sollte, brachte ihn die Erinnerung, wie er Rowena in den Armen gehalten hatte, zur Raserei.
    Er starrte durch die kleine Öffnung über den großen Hof, dorthin, wo der dunkle Umriss des Hauses drohend gen Himmel ragte. Flackernder Lichtschein war durch die Risse der geschlossenen Fensterläden zu erkennen, hin und wieder verdunkelt durch sich bewegende Gestalten. Was geschah heute Nacht in diesem verwirrend großen Haus?
    Was war aus Rowena geworden?
    Er ließ den Blick jenseits des Hauses über das offene Moor schweifen, wo das Mondlicht die Landschaft reizvoll in Licht und Schatten tauchte. Der Junge hatte ihm klargemacht, dass er nach Rowenas Wunsch auf dem Dachboden bleiben sollte – sicherlich ein guter Rat. Es waren Fremde auf dem Besitz, und selbst ein kurzes Zusammentreffen könnte dazu führen, dass man ihn wieder einsperrte. Aber die Ruhelosigkeit brannte wie ein Fieber in seinem Blut. Der Wind, der die Wolken vor sich her trieb und das Riedgras im Moor wogen ließ, schien seinen Namen zu flüstern, während er das verlockende Lied der Freiheit in ihm zum Klingen brachte.
    Alle Vorsicht außer Acht lassend, stieg Black Otter die Leiter zum Erdgeschoss des Stalles hinab. In der Dunkelheit spürte er die Gegenwart der Pferde. Er hörte sie in ihren Ställen schnauben und atmete den warmen, erdigen Geruch von Dung ein.
    Mittlerweile kannte er die Pferde schon gut. In den vorderen Nischen standen die großen, geduldigen Tiere, die nach dem Bericht des Jungen zum Ziehen des Wagens gebraucht wurden. Hinter den beiden leeren Nischen befand sich das graue weibliche Tier, so zartgliedrig

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