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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lane
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zusammengesunkenen Körper würde ihr den Verstand rauben. In seiner letzten Stunde, als er sie brauchte, hatte sie sich vor ihrem Spiegel herausgeputzt. Wegen ihrer Eitelkeit hatte er allein sterben müssen, eine Sünde, die sie sich niemals vergeben würde.
    Rowena eilte durch die Küche und nahm im Vorübergehen einen Laib Brot aus der Speisekammer mit. Grelle Blitze durchzuckten den Himmel, während sie den Hof überquerte. Dunkle Wolkenfetzen zogen an der Mondscheibe vorbei und verschluckten ihr Licht wie die Wellen eines wilden schwarzen Meeres. Als Rowena loslief, fiel ihr der erste Regentropfen auf die Wange. Sie lief schneller, blieb dann aber plötzlich wie angewurzelt stehen.
    Die Stalltür, die um diese Zeit fest verriegelt hätte sein sollen, stand sperrangelweit offen.
    Ein Donnerschlag dröhnte am Himmel, als sie in den Stall hetzte. “Bitte … lass ihn hier sein …”, flüsterte sie. Aber da war keine Spur von dem Wilden – und ein kurzer Blick genügte, um bestätigt zu sehen, was sie bereits befürchtet hatte. Blackamoor war nicht mehr in seinem Stall.
    Verzweifelt warf sie das Bündel Kleidung und den Brotlaib zu Boden und rannte los, um ihren eigenen Zelter zu satteln. Mayfair hatte nicht die Ausdauer des kräftig gebauten Wallachs, aber über kurze Strecken konnte sie es sehr wohl mit ihm aufnehmen. Vielleicht war es noch nicht zu spät, den Wilden einzuholen und eine weitere Tragödie zu verhindern.
    Beunruhigt durch das Gewitter, rollte Mayfair mit den Augen und wieherte, als Rowena ihr den Sattel überwarf und den Sattelgurt eng um den Bauch festzurrte. Blackamoors fein gearbeiteter Ledersattel und sein Zaumzeug hingen dort, wo der Stallknecht sie immer aufbewahrte – es fehlte tatsächlich nichts von der Reitausrüstung. Gütiger Himmel, hatte der Wilde etwa einfach das Pferd genommen ohne die geringste Ahnung, wie er es lenken wollte?
    Rowena griff sich Mayfairs Zaumzeug, klemmte der unruhigen Stute die Kandare zwischen die Zähne und schnallte den Kehlriemen fest. Sie hätte sich freilich denken können, dass John Savage so etwas anstellen würde. Warum hatte sie ihm nicht verboten, die Pferde anzufassen, oder noch besser, ihn gleich in der Meiereischeune oder im Wurzelkeller untergebracht? Überall wäre er besser aufgehoben gewesen als ausgerechnet im Stall!
    Hastig setzte sie ihren leicht beschuhten Fuß in den Steigbügel, sprang in den Sattel und stieß ihre Knie mit aller Kraft in die Flanken der Stute. Mayfair schoss vorwärts, aus dem Stall hinaus und hinein in die stürmische Nacht.
    In welcher Richtung sollte sie suchen? Einen Augenblick lang fühlte sich Rowena hilflos, während sie mit ihrem Pferd ins offene Moor galoppierte. Ohne Zaumzeug war der Wilde Blackamoor ausgeliefert – und es war vollkommen unklar, welche Richtung der unruhige Wallach eingeschlagen hatte. Mit einer Meute Hunde wäre es vielleicht einfacher, sie zu finden. Aber solange Rowena zurückdenken konnte, hatte Sir Christopher keine Hunde gehalten. Der einzige Sport, der ihm Freude bereitet hatte, war die Falknerei gewesen, und ein Falke würde ihr heute Nacht gewiss nichts nützen.
    Wohin würde Blackamoor wohl reiten? Während sie auf der Kuppe eines sanften Hügels anhielt, ließ Rowena den Blick über das weite Moorland schweifen und versuchte, sich in die Gedankenwelt eines Pferdes hineinzuversetzen. Das natürliche Verhalten des Wallachs nach einem Ausritt wäre die Rückkehr zum Stall. Inmitten eines Unwetters jedoch und mit einem fremden Reiter auf dem bloßen Rücken wäre er völlig verängstigt. Er könnte immer weiter galoppieren und den Wilden zu Boden werfen oder, verwirrt durch die Dunkelheit, über einen Felsvorsprung in die See stürzen.
    Rowena entschied sich, Richtung Klippen zu reiten. Falls Blackamoor dorthin wollte, würde sie zumindest in der Lage sein, sich ihm in den Weg zu stellen.
    Inzwischen regnete es in Strömen, und das Haar klebte ihr am Kopf und die Kleidung am Körper. Sie konnte nur wenige Fuß weit sehen, außer wenn ein Blitz knisternd über den Himmel zuckte. Dann versuchte sie, im Schein des bläulichen Lichtes das weite Moor abzusuchen, ehe der Donner sie erneut in Dunkelheit zurückließ. Bei jedem kurzen hellen Lichtschein suchte sie verzweifelt nach einem Mann zu Pferde – oder zu Fuß, oder verletzt und mit gebrochenen Gliedern am Boden liegend. Aber zwischen ihr und dem Meer gab es nichts außer der endlosen Leere des durchweichten Moores. Nirgends eine Spur

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