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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Lane
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die bloßen Beine ungelenk auseinander gespreizt. Der Kopf saß eigenartig verdreht auf ihrem elfenbeinernen Hals, die Lippen waren grau, die Augen weit aufgerissen, leblos.
    Neben ihrem Körper lagen der Bogen und drei Pfeile – die Waffen, die sich der Wilde für das Wettschießen ausgesucht hatte.

16. KAPITEL
    Tief hängende, düstere Wolkenfetzen, so fein wie Spinnweben, durchzogen den Nachthimmel. Immer dann, wenn sie wie ein Schleier das Gesicht des abnehmenden Mondes verdunkelten, schoben sich pechschwarze Schatten wie lebende Wesen über das silbrige Moor. Das lange Gras wogte in einem lebhaften Wind, der unverkennbar nach Regen roch.
    Beladen mit einem aufgerollten Quilt sowie einem Kopfkissenbezug, der mit Vorräten aus der Speisekammer vollgestopft war, schlich sich Rowena durch die Küchentür nach draußen und schloss sie verstohlen hinter sich zu. Während sie sich auf leisen Sohlen seitlich am Haus entlangbewegte, wagte sie kaum zu atmen und traute sich erst ins offene Gelände, als sie sicher sein konnte, dass sie von keinem der Fenster aus mehr zu sehen war.
    Nachdem sie die Scheune erreicht hatte, machte sie im Schatten des Dachüberstandes einen Augenblick Rast und holte tief Luft. Der Wind peitschte ihr das lange, offene Haar ins Gesicht, während sie zum Haus zurücksah, um sicherzugehen, dass alles ruhig war.
    Das Entsetzen dieses Nachmittags verfolgte sie immer noch. Sie sah Sibyl vor sich, auf dem schmutzigen Stroh liegend, ermordet und geschändet. Den ganzen Nachmittag und Abend über hatte Bosley getobt wie ein Wahnsinniger. Um nicht mit ihm allein sein zu müssen, hielt sich Rowena so lange wie möglich bei den Gästen und Dienern auf. Dann, als sich das Haus leerte, nahm sie Zuflucht in ihrer Kammer, wo sie sich einschloss, während er draußen vor ihrer Tür wütete und polterte.
    “Auf ewig verflucht soll er sein, der dreckige, lüsterne Wilde! Und dein Vater soll in der Hölle schmoren, dafür, dass er ihn hierher gebracht hat, und du, weil du dieses Bankett veranstaltet und Sibyl mit hineingezogen hast. Du hast sie benutzt, du hinterhältige Hexe! Du hast uns alle nur benutzt, um dieses mörderische Vieh aus dem Kerker zu befreien, und nun sieh dir an, wohin das alles geführt hat!”
    Rowena stand gegen die Wand gelehnt und konnte nicht anders als zittern, während er sich ereiferte, fluchte und gegen die Tür hämmerte. Sie wusste, der Mann war ein vorzüglicher Schauspieler und darüber hinaus wohl auch ein Mörder. Aber ihre eigene Rolle in dieser Tragödie machte seine Worte so schmerzhaft. Wenn sie Sibyl nicht dazu gebracht hätte, ihr bei der Feier zu helfen, könnte die arme Frau vielleicht noch am Leben sein.
    Was war dort im Stall vor sich gegangen? Rowena war dermaßen aufgewühlt, dass sie sich immer andere mögliche Erklärungen suchte und sie dann wieder verwarf. Hatte Bosley Sibyl in einem Anfall von Eifersucht ermordet? Hatte er den Wilden in den Stall gelockt, um ihm etwas anzuhängen? Hatte er den Bogen und die Pfeile gestohlen oder sie gefunden? Bei all diesen düsteren Grübeleien war ihr eines jedoch so klar wie nur irgendetwas – sie musste den Wilden unbedingt finden.
    Der stärker werdende Wind peitschte gegen ihr Kleid, während sie sich den Pfad an den Klippen entlangkämpfte. Die Seehöhle lag mehr als eine Meile vom Haus entfernt, und es wäre sicher einfacher gewesen, hätte sie ein Pferd genommen. Aber einen Reiter würde man viel eher sehen und hören als eine Frau zu Fuß, und heute Nacht war es entscheidend, dass alles heimlich vonstattenging, wenn sie ihr Ziel erreichen wollte.
    Würde sie den Wilden dort finden? Rowena konnte es nicht wissen. Nur von ihrem Gefühl und der Hoffnung geleitet, ging sie weiter und trotzte dem sich zusammenbrauenden Unwetter – dem gleichen Gefühl, das ihr die Gewissheit gab, dass John Savage unmöglich ein Mörder sein konnte.
    Unterhalb des Pfades krachten die Brecher mit voller Wucht gegen die Felsen, und die Gischt spritzte bis zu ihr herauf, sodass sie das Salzwasser auf ihren Lippen schmeckte. Ein Blitzstrahl erhellte gerade vor ihr die Spalte, auf deren Höhe sich der Eingang zu der versteckten Höhle befand. Sie stand so dicht davor, dass sie in ihrem blinden Eifer leicht über den Rand hätte treten und ins Meer stürzen können.
    Der Abstieg zur Höhle war gefährlich, besonders bei diesem wütenden Sturm. Aber wenn sie den Wilden finden wollte, blieb ihr keine andere Wahl. Selbst wenn er dort wäre und

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