Wilde Chrysantheme
schaden als mir, das kannst du mir glauben.«
Juliana erbleichte. Es schmerzte sie, daß er glaubte, Lucien hätte sie zum Narren gehalten. Offenkundig unterschätzte Redmayne sie einigermaßen. »Das Benehmen Ihres Cousins scheint Ihre gesellschaftliche Stellung bisher nicht beeinträchtigt zu haben, Sir«, sagte sie mit eisiger Ruhe. »Und es ist mir schleierhaft, wieso dann seine Ehefrau die Situation zum Schlechteren wenden könnte.« Sie stand auf und knickste. »Ich bitte um die Erlaubnis, mich jetzt zurückziehen zu dürfen, Sir.«
Tarquin kam hinter seinem Schreibtisch hervor, ergriff ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Treib es nicht auf die Spitze, Juliana«, sagte er eindringlich. »Bitte.«
Sie blickte zu ihm auf, sah die Aufrichtigkeit in seinen Augen, die harten, kantigen Flächen seines Gesichts. Es war ihr klar, daß er ihr damit eine Möglichkeit anbot, klein beizugeben, ohne das Gesicht zu verlieren – aber ihre Wut und ihr Groll saßen zu tief, als daß sie sich so leicht hätte beschwichtigen lassen.
»Sie ernten, was Sie gesät haben, Mylord.«
Ihre Blicke hielten einander einen langen Moment fest, und sie las den Tumult von Gefühlen in seinen Augen – eine Mischung aus Zorn, Ratlosigkeit, Resignation, Bedauern. Und hinter all dem eine glühende Flamme der Leidenschaft.
»So ist es«, erwiderte er langsam. »Aber vergiß nicht, daß auch du deine Saat ernten wirst.« Er beugte den Kopf, um mit einem harten Kuß Besitz von ihren Lippen zu ergreifen. Der Kuß fiel recht kriegerisch aus, und das Blut rauschte in ihren Ohren; ihr Widerstand wuchs, um der Macht der Leidenschaft zu begegnen, dem verwirrenden Bewußtsein, daß sie mit Klauen und Zähnen gegen ihn kämpfte und zugleich mit derart verzweifeltem Hunger auf seine Berührung und Nähe reagieren konnte, auf seinen Duft, seinen Geschmack und die berauschende Sinnlichkeit seines Liebesspiels.
Als Tarquin sie wieder freigab, verschmolzen ihre Blicke erneut miteinander, und er betrachtete ihre vollen, verführerisch schimmernden Lippen, die zarte Röte des Verlangens auf der cremigen Blässe ihrer Wangen, die schimmernden jadegrünen Tiefen ihrer Augen, die feurigen Flammen ihres Haares. Ihre Erregung umgab sie wie eine Aura, und er wußte, daß die Kriegserklärung sie ebenso erregt hatte wie die Leidenschaft.
»Du hast jetzt meine Erlaubnis, dich zurückzuziehen.« Damit war sie vorläufig erlöst.
Juliana knickste und ging hinaus, wobei sie die Tür behutsam hinter sich schloß. Sie begegnete einem unbekannten Lakaien, als sie durch den Korridor auf die Halle zuging. »Wissen Sie, ob Viscount Edgecombe schon wieder nach Hause zurückgekehrt ist?«
»Ich glaube nicht, Mylady.«
Er sah sie nicht an, sondern hielt seinen Blick auf eine Stelle oberhalb ihrer Schulter geheftet, und Juliana begriff, daß die Bediensteten dieses Hauses, mit Ausnahme von Henny, darauf gedrillt waren, Augenkontakt mit ihrer Herrschaft zu vermeiden.
»Würden Sie mir bitte Bescheid sagen, wenn er zurückkommt?« fragte sie freundlich. »Ich bin in meinem Salon.«
Der Lakai verbeugte sich, und sie setzte ihren Weg fort. Ihr drehte sich der Kopf, als sie ihre Gedanken zu ordnen versuchte. Sie konnte den brodelnden Vulkan ihres Körpers unmöglich ignorieren. Der Herzog hatte mit jenem Kuß etwas in ihr geweckt, was sich nicht so einfach unterdrücken ließ. Sie fragte sich, ob er das wohl gewußt hatte… oder das gleiche empfand… Unbestreitbar wußte er genau, was er ihr angetan hatte, und im Gegensatz zu ihr war er durchaus fähig, seine eigenen Reaktionen zu kontrollieren, der Schuft!
Oben in dem gelben Schlafzimmer fand sie Lucy an einen Stapel Kissen gestützt im Bett sitzend vor, während Henny sie mit Fleischbrühe fütterte. »Oh, Sie sehen schon viel besser aus«, sagte Juliana, als sie sich dem Bett näherte. Lucys Haar war jetzt sauber, wenn auch ziemlich stumpf und strähnig, und auf ihrem abgemagerten Gesicht befand sich keine Schmutzkruste mehr. Sie trug ein weißes Nachthemd, das viel zu groß für sie war, aber ihre dunklen Augen wirkten schon wieder etwas lebhafter.
Sie drehte den Kopf zu Juliana um und lächelte schwach. »Ich weiß nicht, wer Sie sind. Oder wo ich hier bin. Aber Sie haben mir das Leben gerettet.«
Juliana schüttelte energisch den Kopf. Sie hatte nicht mehr getan als jeder andere mitfühlende Mensch unter diesen Umständen, und Dankbarkeit erschien ihr sowohl überflüssig als auch peinlich. »Mein Name ist
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