Wilde Chrysantheme
habe.« Ihr Kinn blieb weiterhin in seiner Hand, während er ihr ernst in die Augen sah. »Fügst du dich dieser Bedingung, Juliana?«
Juliana warf erneut einen Blick auf den mürrischen Ted. Sollte er sowohl Beschützer als auch Spion sein? Höchstwahrscheinlich. Wie konnte sie den geplanten Besuch im »Bedford Head« in die Tat umsetzen, wenn dieser Trauerkloß sie auf Schritt und Tritt begleitete? Nun, sie würde ihn irgendwie überlisten müssen. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Boadicea zu und gab die ausweichende Antwort: »Ich würde sie gerne sofort reiten.«
»Es bleiben nur zehn Minuten bis zum Dinner«, meinte Quentin amüsiert.
»Nach dem Dinner kannst du sie im Park während der Promenade reiten… in Teds Begleitung«, schlug Tarquin vor, während er seine Erleichterung über ihre Kapitulation zu verbergen suchte. »Alle werden sich fragen, wer du bist. Du erregst sicherlich eine Menge Aufsehen.«
Juliana lachte, nicht unerfreut über die Aussicht. »Gut, dann mache ich mich noch etwas frisch vor dem Dinner.« Sie knickste übermütig vor den beiden Brüdern und stürmte wieder ins Haus.
Quentin schmunzelte und legte seinem Bruder einen Arm um die Schultern, als sie in die Halle zurückkehrten. »Wenn sie Schutz braucht, dann ist Ted bestimmt der richtige Mann für diese Aufgabe.«
Tarquin nickte. »Der beste.« Sie lächelten beide versonnen, jeder in seine eigenen Kindheitserinnerungen an den wortkargen, kompromißlosen Wildhüter versunken, der sie Reiten und Schießen gelehrt hatte, und wie man Forellen sowie Kaninchen fängt, Wildfährten verfolgt. Ted Rougley war der Familie Courtney – mit Ausnahme von Lucien – treu ergeben, und seine Loyalität unerschütterlich. Tarquin würde ihm niemals einen Befehl erteilen, aber wenn er eine Bitte an ihn richtete, würde Ted sie buchstabengetreu erfüllen. Juliana konnte es bei ihm wohl kaum gelingen, einen unbewachten Schritt zu tun.
»Soviel ich weiß, muß Juliana von diesem jungen Mann, ihrem Stiefsohn, ferngehalten werden, aber was ist mit Lucien?« fragte Quentin, als sie das Speisezimmer betraten.
Tarquins Nasenflügel blähten sich, und sein Mund wurde so schmal, daß nur noch ein Strich blieb. »Bis jetzt ist er noch nicht nach Hause zurückgekehrt. Ich werde mich sofort mit ihm befassen, wenn er kommt.«
Quentin nickte und ließ das Thema fallen, als Juliana eintrat.
»Also«, begann sie in beiläufigem Ton, während sie sich mit einem Löffel Pilzragout bediente. »Ich darf keinen Besuch empfangen und nur in Begleitung dieses finsteren Gesellen aus dem Haus gehen. Habe ich das richtig verstanden?«
»Meine Liebe, du kannst jeden Besuch empfangen, den du möchtest…«
»Außer meinen Freundinnen«, unterbrach sie Tarquin.
»Außer Mistress Dennisons Mädchen, richtig«, bestätigte er.
»Ich fürchte, ich werde mich zu Tode langweilen«, stellte sie fest, wobei sie jedoch bemerkenswert heiter bei dieser Aussicht klang.
»Der Himmel bewahre uns!« rief der Herzog und warf in gespieltem Entsetzen die Hände hoch. »Du und Langeweile – das ist wirklich eine Kombination, an die ich gar nicht zu denken wage. Aber du wirst eine ganze Reihe von Leuten kennenlernen. Zum Beispiel jene, die darauf brennen, dir zu deiner Hochzeit zu gratulieren. Und du kannst nach Vauxhall und Ranelagh gehen, ins Theater, in die Oper. Dort wirst du Leuten vorgestellt werden, und ich könnte mir denken, daß du zu Soireen und Kartenpartien oder auch zu großen Abendgesellschaften eingeladen wirst.«
»Was für Aussichten«, sagte Juliana so heiter wie zuvor, als sie sich ein Stück Röstkartoffel in den Mund schob.
Tarquin lächelte vor sich hin. Quentin nippte an seinem Wein und dachte bei sich, daß wahrhaftig eine ungewohnte Sanftheit, eine amüsierte Nachsichtigkeit in Tarquins Augen lag, wenn sie auf dem Mädchen ruhten, selbst während ihrer Wortgefechte.
Als die Portweinkaraffe erschien, zog Juliana sich mit der Erklärung zurück, sie wolle sich für ihren Ausritt umziehen, und die beiden Brüder saßen in freundschaftlichem Schweigen bei ihrem Digestif, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
Zwanzig Minuten später steckte Juliana erneut den Kopf zur Tür herein. »Darf ich reinkommen, oder störe ich?« fragte sie taktvoll. Sie wußte, in der Anrichte wurden Nachttöpfe aufbewahrt für die Annehmlichkeiten von Gentlemen, die allzu ausgiebig den Getränken huldigten, und sie würde sich hüten, unangekündigt ins Zimmer zu
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