Wilde Chrysantheme
dann eilte er ins Haus zurück, um seinen Hut und Stock zu holen. Es war ein herrlicher Nachmittag, und ein kleiner Spaziergang im Hyde Park war eine erfreuliche Aussicht.
Juliana versuchte mehrfach, eine zwanglose Unterhaltung mit ihrem Begleiter in Gang zu bringen, konnte ihm jedoch nur einsilbige Antworten entlocken. Bald gab sie es auf und entschied, ihren Ausritt für sich zu genießen. Sie war so darauf konzentriert, Boadicea unter Kontrolle zu halten und eine möglichst gute Figur im Sattel zu machen, daß sie nicht sah, wie George aus einer Toreinfahrt auf der gegenüberliegenden Straßenseite glitt, als sie die Albermarle Street hinuntertrabten. Es entging ihr völlig, daß dieses Subjekt ihnen mit weitausholenden Schritten und in sicherem Abstand folgte; sie war viel zu intensiv damit beschäftigt, sich umzusehen und zu beobachten, wie andere Reiter und Passanten auf ihren Anblick reagierten. Es behagte ihr überaus, neugierige und bewundernde Blicke einzuheimsen, zumal sie es von früher her kannte, grundsätzlich übersehen zu werden.
Ted jedoch war sich ihres Verfolgers sehr wohl bewußt. Er führte seinen Schützling auf einen Umweg zum Park, durch kleine Seitenstraßen und enge Gassen entlang, doch stets in einem Tempo, das einen entschlossenen Jäger nicht abschütteln konnte. Der Mann blieb ihnen bei jedem Schritt des Weges beharrlich auf den Fersen.
George erfüllte ein ohnmächtiger Zorn. Stundenlang hatte er auf Julianas Erscheinen gewartet, während er sich ausmalte, wie er sie auf der Straße überrumpeln, sie sich kurzerhand schnappen und sich mit ihr davonmachen würde. Aber sie blieb beharrlich außer Reichweite für ihn in Begleitung dieses Halunken, der den unverkennbaren Eindruck eines Mannes machte, sich in jedem Kampf zu behaupten.
George war von einer regelrechten Besessenheit erfaßt. Er hatte jegliches Interesse an den fleischlichen Vergnügungen Londons verloren; seine Träume, sowohl des Nachts als auch im Wachzustand, drehten sich ausschließlich um Juliana. Die Furcht nagte an ihm, trotz seiner handgreiflichen Chancen niemals an sie heranzukommen. Er war ihr von der Russell Street zurück in die Albermarle Street gefolgt und hatte seinen gewohnten Beobachtungsposten auf der Kellertreppe des Hauses gegenüber bezogen. Mit gierigen Raubtieraugen schaute er zu, wie sie sich auf der Treppe zu den beiden Männern und der Rotschimmelstute gesellt hatte. Leider hörte er nicht, was sie sagten, aber sie sprachen ganz offensichtlich über etwas Erfreuliches. Wenig später hatte er Juliana wieder ins Haus gehen sehen, und sein Magen verknotete sich bei der bitteren Erkenntnis, daß diese Laffen ihr gegenüber eine Rücksichtnahme und Höflichkeit an den Tag legten, die zweifellos einer respektablen Ehefrau statt einer Hure gebührten.
Und jetzt ritt sie durch London, überaus elegant und nach der neuesten Mode gekleidet, auf einem edlen und sehr teuren Damenpferd in Begleitung eines Pferdeknechts. Er musste sie in die Finger kriegen! Sie zwingen, ihn anzuerkennen. Dieses unverschämte Biest behandelte ihn wie Luft. Ihre Gleichgültigkeit hatte derart überzeugend gewirkt, daß er fast meinte, einem Irrtum erlegen zu sein – am Ende war dieses verwöhnte, modisch gekleidete Geschöpf überhaupt nicht Juliana Ridge, das vernachlässigte, einfache junge Mädchen vom Lande, die Mörderin seines Vaters und rechtmäßige Eigentümerin einer ordentlichen Portion von George Ridges Erbe.
Aber die Art, wie sich jedesmal Glut in seinen Lenden ausbreitete und sein Blut schneller durch seine Adern pulsierte, wann immer er sich in ihrer Nähe aufhielt, sagte ihm, daß er sich nicht irrte. Dies war Juliana, und sie gehörte ihm.
Seine Beute bog jetzt in den Hyde Park ein, und George versteckte sich hinter einem Baum, als Juliana und ihr Beschützer die Pferde zügelten und eine Diskussion darüber zu führen schienen, welche Richtung sie einschlagen sollten. Mit seiner Nachschleicherei würde er nichts erreichen. Er konnte sie nicht von ihrem Pferd herunterzerren… nicht hier… nicht jetzt. Schließlich würden sie in die Albermarle Street zurückkehren, daher wäre es ratsam, dort ein wenig herumzuschnüffeln, während er wartete; aber er konnte sich nicht dazu überwinden, Juliana den Rücken zu kehren. Es zog ihn wie magisch zu dem hellbraunen Streifen von Sand hinüber, der neben dem Weg entlanglief, wo sie hoch zu Roß in einem leichten Galopp rasch in der Ferne verschwand, so daß er sie
Weitere Kostenlose Bücher