Wilde Chrysantheme
dazu kam, den Mund zu öffnen. »Sieh dich einmal an, Juliana! Du siehst aus, als wärst du rückwärts durch eine Hecke geschleift worden. Du bist wirklich ein skandalöser Anblick.« Er schob sie unbarmherzig vor den Spiegel. »Hier, schau hin! Jeder würde denken, du hättest dich mit einem Fuhrknecht im Graben gewälzt!«
Juliana war so verblüfft über diese angeblich stattgefundene Schlacht, daß sie einen Moment lang kein Wort hervorbrachte.
Sie starrte ihr Spiegelbild an. Ihr Haar hing wild zerzaust um ihre Schultern, in ihren Locken hafteten Flusen von der Decke und etliche Strohhalme. Ihr Kleid war über und über mit Staub und Wollfasern bedeckt, obendrein mit Pferdehaaren. Ihr Gesicht glühte und wies deutliche Schmutzspuren auf.
Schließlich fand sie ihre Stimme wieder. »Was erwarten Sie denn, wie ich aussehe, nachdem ich von diesem Wüstling überwältigt, in eine stinkende Pferdedecke gerollt und beinahe erwürgt worden bin? Und wessen Schuld ist das, wenn ich fragen darf?
Sie
haben mich in seine Falle tappen lassen!« Ihre Stimme bebte vor neu erwachtem Zorn. »Sie sind ein elender Heimtücker!« Mit der Handkante rieb sie sich über den Mund, um ihre Zunge und Lippen von den immer noch haftenden Wollfusseln der Decke zu befreien.
»George ist also für deinen Zustand verantwortlich! Gott im Himmel, du bist wirklich ein unverbesserliches Geschöpf!« entfuhr es Tarquin. »Er tut, was er schon seit Wochen zu tun droht, weil du ihn förmlich dazu einlädst, und dann wagst du es auch noch, mir die Schuld an deiner unglaublichen Dummheit zuzuschieben!«
»Jawohl, das tue ich«, schrie sie zurück. »Ted ist mir den ganzen Morgen gefolgt. Sie haben Lucys Brief gelesen und gewußt, wohin ich gehen würde, und Ted sollte seelenruhig zuschauen, wie George mich entführt.«
»Moment mal!« Tarquins Finger schlössen sich erneut hart um ihre Schultern. »Halte deine Zunge im Zaum, und hör mir zu. Du hast dich selbst einer Gefahr ausgesetzt, von der du wußtest, daß sie dort auf dich lauerte. Vorsätzlich hast du dich dem Beschützer entzogen, den ich für dich eingestellt hatte. Und bei Lucien bist du genauso vorgegangen. Obwohl ich in dem Fall einen Teil der Schuld auf mich nehmen muß, weigere ich mich ganz entschieden, mir die Verantwortung für die Ereignisse dieses Morgens aufbürden zu lassen! Hast du mich verstanden?« Er schüttelte sie mit heftigem Nachdruck.
»Es kann schon sein, daß ich George unterschätzt habe, aber Sie haben seine Tat begünstigt«, keifte Juliana und spürte Tränen in ihre Augen schießen. »Sie sind ein hinterhältiger Mistkerl!« Schniefend wischte sie sich mit der Hand über die Augen. »Wie konnten Sie nur auf so eine herzlose, gemeine Idee kommen! Sie haben mich in Georges Falle tappen lassen, und deshalb musste ich Todesangst ausstehen, als mich diese Ratte verschleppen wollte. Sie haben mich in dem Glauben gelassen, daß ich in Gefahr wäre, obwohl das gar nicht zutraf.«
»Wovon sprichst du, himmelsapperment?« brauste Tarquin auf. »Ich hatte keine Ahnung, daß George heute morgen in deiner Nähe war. Nur über deinen Plan, eine kleine Expedition mit den Mädchen der Dennisons, wußte ich Bescheid. Aber ich hoffte immer noch, deine Vernunft würde siegen und du würdest davon Abstand nehmen. Als das nicht der Fall war, habe ich Ted hinter dir hergeschickt. Ich sage Ted niemals, auf welche Weise er seine Arbeit zu tun hat. Seine Anweisungen lauteten, dafür zu sorgen, daß du nicht zu Schaden kommst, und dich zurückzubringen, um diese Angelegenheit ein für allemal unmißverständlich zu klären. Wie er seine Aufgabe erledigte, war seine Sache.«
Juliana schluckte hart, ihr Zorn ebenso wirkungsvoll erstickt wie Feuer durch einen Eimer Wasser. »Sie haben ihm nicht gesagt, er soll mich George vorerst überlassen?«
»Natürlich nicht. Aber Ted hat offensichtlich gedacht, du hättest eine kleine Lektion nötig. Er reagiert sehr ungehalten, wenn jemand versucht, ihn an der Nase herumzuführen.«
»Oh!« Juliana wischte sich kleinlaut mit dem Handrücken über die Nase.
Tarquin gab ihre Schultern frei, zog ein Taschentuch aus seiner Tasche und rieb ihr Gesicht trocken. »Tränen werden dein Außeres nicht verbessern.«
»Ich weine nur, weil ich wütend bin«, sagte sie patzig. »Oder zumindest war ich es. Aber ich verstehe immer noch nicht, warum Sie die Schuld an meinem Erlebnis von heute morgen von sich weisen. Wenn Sie mir nicht verboten hätten, meine
Weitere Kostenlose Bücher