Wilde Chrysantheme
schrecklich wäre, sein Leben zu zerstören.«
»Ach, Unsinn!« rief Juliana empört. »Sie würden sein Leben nicht zerstören. Er käme bald darüber hinweg. Es ist ja nicht so, als liebte er Lydia. Und nun zu Ihrer Befürchtung, es könnte aussehen, als hätte er Lydia sitzengelassen: Eine private Neuabmachung geht keinen Menschen etwas an. Schlimmstenfalls käme es zu einer kurzlebigen Sensation.«
Möglicherweise hatte sie recht, und für einen Moment flackerte Hoffnung in Quentin auf. Dann verlöschte sie so schnell, wie sie aufgekeimt war.
»Lydia ist dazu erzogen worden, Tarquins Ehefrau zu werden. Sie wird ihm Melton-Land einbringen, um seine eigenen Ländereien zu vergrößern. Ihre Pflichten sind ihr vertraut, selbstverständlich eine gute Ehefrau und Mutter seiner Kinder zu werden und nicht mehr als Höflichkeit und Rücksichtnahme als Gegenleistung dafür zu erwarten. Es kommt ihr nicht in den Sinn, Gedanken an andere Frauen in seinem Leben zu verschwenden, weil sie weiß, daß keine Frau ihres gesellschaftlichen Ranges aus Liebe heiratet. Sie rechnet damit, daß ihr Ehemann sein Vergnügen außerhalb des gemeinschaftlichen Lagers suchen wird.« Jetzt schwang wieder die Bitterkeit in seiner Stimme mit. »Tarquin hat für Sentimentalität nichts übrig, Juliana. Und Liebe fällt auch in diese Kategorie.«
»Vermutlich haben Sie recht.« Ihre Finger zupften ruhelos an einer verblühten Rose in einer Schale neben ihrem Sessel. Die Blütenblätter regneten auf den Boden herab. Sie und Tarquin hatten seit ihrer letzten Auseinandersetzung kein persönliches Gespräch mehr miteinander geführt. Er verhielt sich höflich und distanziert ihr gegenüber, war aber nicht in ihr Bett gekommen. Sie fragte sich, ob er wohl auf eine Aufforderung wartete. Schließlich hatte sie ihm recht drastisch die Meinung gesagt.
»Glauben Sie nicht, daß Tarquin sich ändern könnte, Quentin?« Juliana zerdrückte ein Blütenblatt zwischen ihren Fingern, ohne die Augen zu heben, als sie die Frage stellte.
»Ein wenig hat er sich schon geändert«, sagte Quentin nachdenklich. »Ich glaube, Sie üben eine besänftigende Wirkung auf ihn aus.«
Juliana spürte, wie Röte ihre Wangen überzog. »Glauben Sie wirklich?«
»Mmmm. Aber Sie sind auch eine ungewöhnliche junge Frau, meine Liebe!« Er erhob sich aus dem Sessel und griff nach ihrer Hand, um sie an seine Lippen zu heben. »Ungewöhnlich und äußerst einfühlsam. Ich wollte Sie gar nicht mit meinem Kummer belasten.«
Julianas Röte vertiefte sich noch vor Freude. »Aber im Gegenteil, Sir. Ich fühle mich durch Ihr Vertrauen geehrt.«
Quentin lächelte und beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen. »Sie haben mich zumindest in die Lage versetzt, wieder etwas klarer zu sehen. Wenn es für Sie so offensichtlich ist, was Lydia und ich empfinden, dann könnte es auch Tarquin auffallen. Und ich will nicht, daß das passiert.«
»Was werden Sie tun?«
»An meinen Bischof schreiben und ihn bitten, mich nach Melchester zurückzubeordern, bevor meine Mission hier in London beendet ist.«
Es war eine traurige – tatsächlich sogar einigermaßen jämmerliche – Lösung, wie Juliana fand, aber sie nickte zum Zeichen ihrer vermeintlichen Zustimmung, und er verließ den Raum.
Sie lehnte sich in die Polster zurück und schloß einen Moment die Augen. Ihre Hand glitt unwillkürlich über ihren Bauch. Ob sie empfangen hatte? Seit ihrem letzten monatlichen Unwohlsein waren inzwischen über fünf Wochen vergangen. Allerdings fühlte sie sich nicht anders als sonst, spürte keines der Anzeichen, die Mistress Dennison ihr so peinlich genau beschrieben hatte. Und dennoch war da dieses seltsame Wissen tief in ihrem Inneren, das instinktive Bewußtsein, daß mit ihrem Körper etwas geschah, daß sich eine Veränderung anbahnte. In Worte konnte sie es nicht fassen, aber es war eine gefühlsmäßige Vermutung.
Natürlich würde sie warten, bis sie sich ganz sicher war, bevor sie es dem Herzog eröffnete. In ihrem gegenwärtigen Zustand der Entfremdung würde er wahrscheinlich entzückt sein, daß keine Notwendigkeit mehr bestand zu einer körperlichen Vereinigung. Sie selbst sollte ebenfalls froh darüber sein, doch Juliana war zu ehrlich, um sich vorzumachen, daß der Gedanke irgend etwas anderes als Schmerz und ein Gefühl der Leere in ihr auslöste. Die Kälte, die zur Zeit zwischen ihnen herrschte, fand sie unerträglich; aber ein störrischer Zug ihres Ichs weigerte sich
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