Wilde Chrysantheme
beharrlich, den ersten Schritt zur Versöhnung zu tun. Es war Sache des Herzogs, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken, wenn er es wirklich wollte.
»Er logiert im >Gardener's Arms< in Cheapside, Euer Gnaden.« Ted trank durstig einen Schluck Ale. George Ridge quer durch London zu verfolgen war eine überaus anstrengende und schweißtreibende Aufgabe gewesen.
Der Herzog hockte auf der Kante seines Schreibtisches in seinem Arbeitszimmer, ein Glas Bordeaux in der Hand. Sein Gehrock und die Kniehosen aus kanariengelber Seide bildeten einen ins Auge fallenden Kontrast zu der abgewetzten ledernen Reithose und der groben, handgewebten Wollweste seines Gesprächspartners. Dennoch wäre jedem, der den Raum betreten hätte, klar gewesen, daß die Beziehung zwischen dem Herzog von Redmayne und dem vierschrötigen Ted Rougley auf eindeutiger Gleichheit beruhte.
»Hat er sich von Ihrem kleinen Zugriff wieder erholt?«
Ted grinste. »Oje, er ist wieder ganz der alte und doppelt so häßlich.« Er trank den Humpen leer und leckte sich schmatzend die Lippen.
Tarquin nickte und wies auf den Krug, der auf einem Silbertablett am anderen Ende des Schreibtisches stand. Ted bediente sich mit einem Dankesgebrumm.
»Und da ist noch etwas, was Sie wissen sollten, Mylord.« Teds Stimme klang versonnen, enthielt jedoch einen Unterton von einiger Bedeutsamkeit. Als er sah, daß er die volle Aufmerksamkeit des Herzogs hatte, fuhr er fort: »Laut Aussage der Wirtin im Gardener's bekommt er Besuch. Und zwar regelmäßig.«
»So?« Tarquins Augenbrauen schössen in die Höhe.
»Ein ziemlich abstoßender Gentleman, sagte die Wirtin. War ihr nicht geheuer, der Mann. Ganz grünlich und weiß, mit Augen wie ein Toter.«
»Ihre Ausdrucksweise läßt nichts zu wünschen übrig«, stellte Tarquin fest, bevor er abermals das Glas hob. »Müssen wir annehmen, daß Lucien und George eine unheilige Allianz eingegangen sind?«
Er holte seine Schnupftabaksdose aus der Tasche und stand einen Moment lang nachdenklich da, während er mit einem manikürten Fingernagel auf den Emailledeckel klopfte. Es fiel ihm wieder ein, daß George im »Shakespeare's Head« gewesen war in jener Nacht, als Lucien Juliana versteigern wollte. Juliana hatte berichtet, George hätte auf sie geboten. Möglicherweise hatten sich die zwei – die beide einen Groll gegen Juliana hegten, wobei in Luciens Fall noch der überwältigende Haß auf seinen Cousin hinzukam – zu einer teuflischen Partnerschaft zusammengeschlossen.
Ted gab keine Antwort auf diese, wie er wußte, rhetorisch gemeinte Frage, und musterte seinen Brotherrn lediglich stoisch über den Rand seines Humpens hinweg.
»Ich schlage vor, wir befassen uns zuerst mit George«, sagte Tarquin. »Wir werden ihm heute abend einen kleinen Besuch im >Gardener's Arms< abstatten… zu vorgerückter Stunde, wenn der Flegel von seinen Vergnügungen in Covent Garden zurückgekehrt ist. Bringen Sie eine Pferdepeitsche mit. Es könnte sein, daß ich meinen Argumenten etwas Nachdruck verleihen muß.«
»Jawohl, Mylord!« Ted stellte sein Trinkgefäß auf dem Tablett ab und verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken.
Der Herzog starrte grüblerisch ins Leere, während er den feinen Stiel seines Glases zwischen Daumen und Zeigefinger hin- und herdrehte. Eigentlich wollte er Georges Mätzchen ein Ende bereiten, sobald Ted ihn nach dem Entführungsversuch aufgespürt hätte; aber sollte Ridge mit Lucien ein Bündnis eingegangen sein, dann sah die Situation wesentlich bedrohlicher aus. Lucien war unberechenbar und konnte äußerst raffiniert und subtil in seiner Bösartigkeit sein. Ridge würde sich, wie er es bereits demonstriert hatte, auf brutale Gewalt verlassen. Die beiden bildeten ein Gespann, das in seiner Gefährlichkeit nicht zu unterschätzen war.
Tarquin erhob sich abrupt, von einem überwältigenden Verlangen getrieben, das er seit einigen Tagen hartnäckig zu bekämpfen versuchte. Er wollte Juliana. Diese Entfremdung zwischen ihnen zehrte an seinen edlen Teilen. Es fiel ihm immer schwerer, seine kühle, distanzierte Fassade aufrechtzuerhalten. Jeden Tag betrachtete er Juliana über den Dinnertisch hinweg, musterte sehnsüchtig die feurige Pracht ihres Haars, den Glanz ihrer Augen, ihre verführerische Figur. Und er hielt sich von ihr fern. Es war die reinste Qual, so, als ob er auf der Folterbank in Stücke gesäbelt würde. Und Juliana, zum Teufel mit ihr, zahlte es ihm mit doppelter Münze heim. Ihr Blick
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