Wilde Chrysantheme
nützen würde, eine elegante Erscheinung aus ihm zu machen.
»So ist es«, erwiderte Sir Brian in seinem gewohnt knappen Ton.
Als er keine weiteren Erklärungen hinzufügte, begann sein cholerischer Gast nervös in der Bibliothek zwischen Schreibtisch und Fenster auf und ab zu wandern, während er ununterbrochen zornig vor sich hin murmelte und mit seinem Taschentuch die Wülste schwitzenden Fleisches abtupfte, die über seine Halsbinde quollen. »Aber diese Tatsachen sind ungeheuerlich«, grollte er schließlich. »Ihr Mündel hat meinen Vater ermordet. Sie verschwindet über alle Berge, und Sie verwalten trotzdem ihre Vermögenszuteilung – ein beträchtlicher Teil meines Erbes, das kann ich Ihnen versichern, Sir – treuhänderisch für sie. Ich wiederhole es, Sir: Sie ist eine Mörderin!«
»Das ist, wenn ich so sagen darf, eine Anklage, über die das Gericht zu befinden hat«, erwiderte Sir Brian, wobei er angewidert die Nase rümpfte. Die Hitze des Sommernachmittags verursachte ziemlich übel riechende Ausdünstungen seines Gasts.
»Und ich sage es noch einmal in aller Deutlichkeit, Sir: Sie ist eine Mörderin!« wiederholte Sir George mit geblähten Nasenflügeln. »Ich habe den Abdruck auf dem Rücken meines Vaters gesehen. Wenn sie nicht schuld an seinem Tod ist, warum sollte sie dann Hals über Kopf davonlaufen?«
Sir Brian zuckte seine mageren Schultern. »Mein lieber Sir George, Juliana ist schon immer ein Rätsel gewesen. Aber bis sie gefunden wird, können wir nichts tun, um an der augenblicklichen Lage etwas zu ändern.«
»Eine Mörderin darf nicht das Vermögen ihres Opfers erben!« Sir George ließ krachend seine Faust auf den Schreibtisch niedersausen, und sein Gastgeber zuckte mit einem distinguierten Stirnrunzeln zurück.
»Aber ihre Kinder können es«, erinnerte er den wütenden jungen Mann. »Es besteht immerhin die Möglichkeit, daß sie ein Kind erwartet. Ihr Ehemann starb unter Umständen, die eindeutig darauf schließen lassen…« Er hielt inne, schnupfte eine Prise Tabak und fuhr dann gelassen fort: »Die eindeutig darauf schließen lassen, daß die Ehe vollzogen wurde.«
Sein Besucher starrte ihn erbittert an. Dieser Gedanke war ihm offensichtlich niemals gekommen. »Das kann nicht sein.« Aber seiner Stimme fehlte es an Uberzeugungskraft.
»Warum nicht?« erkundigte sich sein Gastgeber in mildem Ton. »Sie selbst sind schließlich der Beweis, daß Ihr Vater nicht impotent war. Natürlich werden wir vielleicht niemals erfahren, ob Juliana empfangen hat. Man müßte sie erst einmal finden.«
»Und wenn wir sie
nicht
finden, dann wird es sieben Jahre dauern, um sie gesetzlich für tot erklären zu lassen. Sieben lange Jahre, während der Sie weiterhin ein Vermögen für sie verwalten werden und ich nicht in der Lage bin, über die Hälfte meines Landes zu verfügen.«
Sir Brian zuckte lediglich die Achseln. Er hatte den Ehevertrag seines Mündels mit der kalten, berechnenden Freude eines Mannes ausgehandelt, der in geschäftlichen Dingen unschlagbar war. Sir John Ridge, ein rauher, aber herzlicher Mann von eher schlichter Gemütsart, der blind vernarrt in die sechzehnjährige Juliana gewesen war, hatte nicht die geringste Chance gegen den messerscharfen Verstand seines raffgierigen Kontrahenten besessen. Julianas Wohl spielte nicht mehr als eine unbedeutende Nebenrolle für Sir Brian in dem allgemeinen Vergnügen, den begriffsstutzigen und liebestollen Ridge bei den Verhandlungen über den Tisch zu ziehen.
»Tja, und wie sollen wir sie finden?« Sir George warf sich auf ein Sofa und runzelte finster die Stirn.
»Ich schlage vor, das überlassen wir der Polizei«, erwiderte Sir Brian ungerührt.
»Und was glauben Sie wohl, welche Anstrengungen dieser faule Haufen hoffnungsloser Schwachköpfe unternehmen wird, um sie ausfindig zu machen?« tobte Sir George.
Sir Brian zuckte erneut ungerührt die Achseln. »Wenn Sie eine bessere Idee haben…«
»Oh, ja, die habe ich!« Sir George sprang mit einem Fluch auf die Füße. »Ich werde mich selbst auf die Suche nach dem Luder machen. Und ich werde sie zurückbringen und vor Gericht schleifen, auch wenn es das letzte ist, was ich in meinem Leben bewerkstellige!«
»Ihre Entschlossenheit kann ich nur loben, Sir.« Sir Brian erhob sich und bewegte sich in Richtung Tür, um seinen Gast diskret zum Aufbruch zu ermuntern. »Und bitte haben Sie doch die Güte, mich über Ihre Fortschritte auf dem laufenden zu halten.«
Sir George
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