Wilde Chrysantheme
einschränken müßte.
Dazu dann noch die Vorstellung, daß er hier leben würde, inmitten von wohlgeordnetem Luxus! In seinem eigenen Haushalt klappte so gut wie gar nichts. Er konnte Bedienstete nur selten länger als einen Monat halten. Irgend etwas schien sie immer zu veranlassen, fluchtartig zur Tür hinauszustürmen, ohne auch nur um ein Zeugnis zu bitten. Aber hier könnte er nach Herzenslust in Überfluß und Bequemlichkeit schwelgen und zugleich ein so wildes und genußreiches Leben führen, wie es ihm gefiel, und das alles auf Kosten seines Cousins.
Es war ein wundervoller Gedanke. Und als Gegenleistung brauchte er nichts weiter zu tun, als eine Trauungszeremonie mit einer unbekannten Frau über sich ergehen zu lassen. Er ; würde niemals irgend etwas mit ihr zu tun haben müssen, für ihn gab es nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. »In Ordnung, mein Freund. Ich denke doch, daß ich dir den kleinen Gefallen erweisen könnte.«
»Du überwältigst mich, Edgecombe.« Tarquin erhob sich aus seinem Sessel. »Würdest du mich jetzt bitte entschuldigen, ich habe noch eine andere Verabredung.«
»Geh ruhig, mein Lieber, tu dir keinen Zwang an. Ich werde mir einfach noch ein wenig von diesem exzellenten Cognac genehmigen.« Lucien rieb sich zufrieden die Hände. »Du hast wirklich einen hervorragend ausgestatteten Keller. Ich kann es kaum erwarten, all die Köstlichkeiten zu probieren… oh, Quentin, mein Lieber…« Er wandte sich um, als sich die Tür öffnete, und begrüßte den Eintretenden mit einer schwungvollen Verbeugung. »Rate mal, was passiert ist. Ich werde mir eine Ehefrau nehmen… mich häuslich niederlassen und respektabel werden. Na, was sagst du dazu?«
Quentin warf seinem Halbbruder einen Blick zu, in dem sich eher Betrübnis als Zorn widerspiegelte. »Dann setzt du deinen Plan also in die Tat um, Tarquin?«
»So ist es.«
»Und meine Ehefrau und ich werden unter Tarquins Dach wohnen«, fuhr Lucien fort. »Es ist natürlich passender für die junge Dame… bequemer. Du wirst uns also häufig zu sehen bekommen, mein lieber Vetter.«
Quentin seufzte schwer. »Das sind ja entzückende Aussichten.«
»Wie unchristlich von dir, so skeptisch zu klingen«, schalt Lucien, während er die Karaffe umgedreht über sein Glas hielt. »Scheint leer zu sein.« Er zog an der Klingelschnur.
»Ich wünsche dir noch einen angenehmen Tag, Lucien.« Tarquin machte abrupt kehrt und marschierte zur Tür. »Quentin, wolltest du mich sprechen?«
»Nein«, erwiderte sein Bruder. »Ich würde ja doch nur meinem Atem verschwenden.«
»Mein armer Herr Pastor!« Tarquin lächelte und klopfte ihm ermunternd auf die Schulter. »Verzweifle nicht an mir. Diese Sache wird sich besser entwickeln, als du glaubst.«
»Ich wünschte, ich könnte davon überzeugt sein.« Quentin wandte sich ab, um seinem Bruder aus der Bibliothek zu folgen. Luciens selbstzufriedenes Lachen hallte unangenehm in seinen Ohren nach.
»Letzten Freitag, sagen Sie?« Joshua Bute zupfte an seinem linken Ohrläppchen und betrachtete seinen Gast mit einer wohlwollenden Aufmerksamkeit, die jedoch nicht über seinen berechnenden, verschlagenen Ausdruck hinwegtäuschen konnte.
»Am Freitag oder möglicherweise auch am Samstag«, erwiderte George Ridge, während er seinen Humpen an die Lippen hob und einen großen, durstigen Schluck Ale trank. »Sie kam mit der Postkutsche aus Winchester.«
»Eine junge Dame… ohne Begleitung?« Joshua zog fester an seinem Ohr. »Tja, ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, daß ich so eine gesehen hätte, Chef. Wissen Sie, die Kutsche aus York kommt zur gleichen Zeit hier an. Ist immer ein ganz schöner Betrieb hier um die Zeit.«
George stützte sich schwer auf die fleckige Theke des Schankraums. Gold schimmerte zwischen seinen dicken Fingern, als er eine Guinee auf den Tresen warf. »Vielleicht hilft das hier, Ihr Gedächtnis ein wenig aufzufrischen.«
Joshua betrachtete die Münze nachdenklich. »Ah… vielleicht könnten Sie die junge Frau noch mal beschreiben?«
»Rotes Haar, grüne Augen«, wiederholte George ungeduldig. »Sie können ihr Haar unmöglich übersehen haben. Wie ein Waldbrand, lauter feuerrote Locken um ihr Gesicht herum. Blasses Gesicht… sehr blaß… dunkelgrüne Augen… groß für eine Frau.«
»Ah.« Joshua nickte versonnen. »Schätze, ich werde mal eben in der Küche nachfragen. Vielleicht hat einer der Jungs eine solche Person im Hof gesehen, wie sie gerade aus der Kutsche
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