Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
Vom Netzwerk:
er als der Vormund des Jungen in irgendeiner Weise dafür verantwortlich war. Er hatte sich ihm gegenüber wie ein älterer Bruder verhalten, ihm Verständnis entgegengebracht und ihn festigend beeinflussen wollen, aber Lucien war ihm in gewisser Weise stets ausgewichen. Mit seiner Unliebenswürdigkeit und Verschlagenheit hatte er selbst Quentins Entschlossenheit, das Gute in ihm zu sehen, schließlich besiegt.
    »Deine Leidenschaft für kleine Jungen hat sich allmählich zu einer Belastung für die gesamte Familie entwickelt«, bemerkte Tarquin, während er eine Schnupftabakdose aus Sevres-Porzellan aus der Tasche zog. »Diese ziemlich abscheuliche Sache mit dem Dalton-Sohn scheint sich inzwischen überall herumgesprochen zu haben.«
    Luciens Laune schlug um. Sein Ausdruck war jetzt mißmutig und argwöhnisch. »Die Geschichte wurde höchst zufriedenstellend vertuscht.«
    Tarquin schüttelte den Kopf. »Offenbar nicht.« Er schnupfte eine Prise Tabak und schob die Dose in seine Tasche zurück, bevor er hinzufügte: »Wenn du deinen derzeitigen Lebenswandel in London fortzusetzen gedenkst, mußt du dich gegen weitere Gerüchte schützen. Eine Klage gegen dich würde unweigerlich bedeuten, daß du ins Exil fliehen müßtest… es sei denn natürlich, du wärst bereit, für deine sexuellen Vorlieben zu hängen.«
    Lucien funkelte Tarquin wütend an. »Du machst aus einer Mücke einen Elefanten, Cousin.«
    »Ach, meinst du?« Der Herzog schlug ein Bein über das andere. »Dann rate ich dir dringend, das hier zu lesen.« Er zog eine Flugschrift aus der Tasche seines Überziehers und warf sie dem jungen Mann in den Schoß. »Dieser Artikel auf der Titelseite hat für äußerst unterhaltsamen Klatsch in jedem Kaffeehaus der Stadt gesorgt. Bemerkenswerte Ähnlichkeit, finde ich. Der Zeichner hat wirklich ein gutes Auge für Karikaturen.«
    Lucien las die Geschichte, während sich sein finsteres Stirnrunzeln noch vertiefte. Die Karikatur von ihm, Lucien, war genauso anzüglich und unanständig wie die ehrenrührige Schilderung eines Vorfalls in der Marienkapelle der St.-Paul's-Kathedrale zwischen einem jungen Ministranten und einem Adligen.
    »Wer hat das hier geschrieben?« Aufgebracht schleuderte er die Flugschrift auf den Fußboden. »Ich werde diesen schmutzigen Schreiberling mit den Ohren an den Pranger nageln lassen!«
    »Nur zu. Wenn du willst, daß alle wissen, wer du bist«, erwiderte der Herzog und bückte sich, um das Blatt aufzuheben. Er schüttelte staunend den Kopf, als er erneut die Karikatur betrachtete. »Die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend. Ein Geniestreich.«
    Lucien riß heftig mit den Zähnen an seinem Daumennagel. »Zur Hölle mit dem Kerl! Laß mich nur erst herausfinden, wer er ist, dann kann er sich auf einiges gefaßt machen. Ich werde ihn mit meinem Schwert durchbohren!«
    »Nicht in den Rücken, wie ich hoffe«, sagte Tarquin. Seine Stimme klang gleichmütig, doch in seinen Augen blitzte Verachtung auf.
    Luciens eben noch so bleiches Gesicht lief fleckig dunkelrot an. »Das ist niemals passiert.«
    »Natürlich nicht«, erwiderte Tarquin seidenweich. »Keiner soll jemals behaupten, daß ein Edgecombe einen Mann von hinten niederstechen würde.«
    Lucien sprang empört auf. »Beschuldige mich noch einmal einer solchen Niedertracht, Redmayne, und wir werden uns auf der Gemeindewiese von Barnes duellieren.«
    »Nein, das glaube ich nicht«, gab Tarquin gelassen zurück. »Ich habe nicht die Absicht, einen Mord zu begehen.«
    »Du meinst, du könntest…«
    »Unbedingt!« fiel ihm der Herzog scharf ins Wort. »Ja, ich würde dich töten, Lucien, mit dem Schwert oder der Pistole, und du weißt es auch. Und jetzt hör auf mit diesen albernen Wortgefechten und setz dich!«
    Lucien ließ sich wieder in den Sessel fallen und spuckte ein Stück Daumennagel auf den Teppich.
    »Schon vor langer Zeit habe ich es aufgegeben, dir Vernunft beizubringen und dich zu einem gemäßigteren Lebensstil zu überreden«, sagte Tarquin. »Du bist ein abgefeimtes, verkommenes Subjekt und ein Päderast, aber ich werde nicht zulassen, daß du öffentlich Schande über den Familiennamen bringst. Denn genau das wird geschehen, wenn die Eltern irgendeines anderen Ministranten beschließen, eine Klage gegen dich anzustrengen. Nimm dir eine Ehefrau und sei diskret. Dann werden die Gerüchte und Skandale augenblicklich aufhören.« Er tippte vielsagend mit einem Finger auf die Flugschrift.
    Luciens Augen wurden schmal.

Weitere Kostenlose Bücher