Wilde Chrysantheme
vereinbaren.«
»Dies ist eigentlich Macbeth und keine Komödie«, erwiderte Quentin. »Sie werden gehen, bevor die Farce aufgeführt wird.«
»Kommt mir ziemlich heuchlerisch vor!« Juliana starrte angestrengt zu den Logen hinüber und versuchte, einen deutlicheren Blick von Lady Lydia Melton zu erhaschen. Es war schwierig, sich ein Bild von der Dame zu machen in dem flackernden Licht der Fackeln, die die Bühne und den Zuschauerraum erleuchteten. »Wie alt ist sie?«
»Achtundzwanzig.«
»Also eine alte Jungfer«, konstatierte Juliana.
»Ich schlage vor, Sie enthalten sich jedes Kommentares, solange Sie die Fakten nicht kennen«, wies Quentin sie zurecht. »Lydia und Tarquin sind von Kindesbeinen an miteinander verlobt; aber als Tarquins Mutter vor drei Jahren starb, musste die Eheschließung verschoben werden. Und jetzt hat der Tod von Lydias Großvater eine weitere Verzögerung zur Folge.«
»Oh! Ich wollte nicht boshaft klingen.« Juliana schenkte ihm ein freundliches Lächeln. »Es kommt nur ziemlich überraschend.«
Quentins Ausdruck wurde milder. »Ja, das kann ich mir vorstellen.«
Juliana spähte erneut angestrengt über den trennenden Raum hinweg und bemerkte plötzlich, daß die Dame geradewegs in ihre Richtung blickte. Es war offensichtlich, daß sich die Unterhaltung in der gegenüberliegenden Loge im Moment um sie, Juliana, drehte, als Tarquin eine Hand in einer Geste der Bestätigung hob und Lady Lydia grüßend den Kopf neigte. Juliana reagierte mit einem höflichen Knicks. »Ich wüßte gerne, was sie über mich sagen.«
»Vermutlich erklärt Tarquin ihnen gerade, daß Sie Luciens Braut sind«, meinte Quentin. »Die Meltons werden sich wohl gefragt haben, was er und ich in einer Loge im Theater mit einer unbekannten Dame tun.«
»Aber könnten sie es nicht sonderbar finden, daß der Viscount nicht bei uns ist? Immerhin war die Hochzeit erst heute morgen.«
»Nein«, sagte Quentin nüchtern.
Das Orchester stimmte erneut einen ohrenbetäubenden Trommelwirbel an, und Tarquin verschwand aus der Loge der Meltons. Wenige Minuten später erschien er wieder an Julianas Seite.
»Sie haben mir überhaupt nichts davon gesagt, daß Sie verlobt sind«, flüsterte sie vorwurfsvoll, als der zweite Akt begann.
»Es ist nicht wichtig«, gab er zurück. »Und nun sei still und hör zu.«
Juliana hatte große Mühe, sich auf den Rest des Bühnengeschehens zu konzentrieren. Sie fragte sich, wann sich Tarquin wohl dazu aufgerafft hätte, ihr von seiner Verlobten zu erzählen. Sie fragte sich, was aus ihren Vereinbarungen würde, wenn die neue Herzogin in das Haus in der Albermarie Street einzog. Vermutlich würden die Mätresse und ihr Kind im einen Flügel des Hauses untergebracht werden und die Herzogin und ihre Kinder in dem anderen – Tarquin könnte sich dann zwischen seinen beiden Familien hinund herbewegen, wann und wie es ihm gerade gefiel.
Vielleicht standen die kostbar eingerichteten Räume, die sie im Moment bewohnte, rechtmäßig der Ehefrau des Herzogs zu. Sicherlich mussten sie zu diesem Zweck bestimmt sein, wenn man die unmittelbare Nähe zu den Räumen des Hausherrn bedachte, ganz zu schweigen von der geheimen Verbindungstür. Also würde sie, Juliana, wahrscheinlich ausziehen müssen, wenn sich die neue Herzogin im Hause niederließ.
Wutentbrannt öffnete und schloß sie ihren Fächer mit solcher Heftigkeit, daß eine der kunstvoll bemalten Stangen zerbrach. Erschrocken blickten ihre beiden Begleiter in ihre Richtung.
Redmayne legte eine beschwichtigende Hand auf ihre Finger, die noch immer damit beschäftigt waren, den Fächer in ihrem Schoß zu zerpflücken. Juliana drehte sich zu ihm um und funkelte ihn mit solcher Wut an, daß er sich fast vorstellen konnte, wie er von den Flammen in ihren Augen versengt wurde. Einer Sache kann man sich bei Juliana hundertprozentig sicher sein, dachte er: Man weiß immer, woran man bei ihr ist. Sie war in jeder Beziehung so voller Leidenschaft, daß sie unmöglich ihre Gefühle zu verbergen vermochte.
»Wenn du streiten willst, dann laß uns das später tun«, flüsterte er. »Nicht hier, mitten in einem überfüllten Theater. Bitte, Juliana.«
Sie wandte ihren Blick demonstrativ wieder der Bühne zu. Um ihren Mund lag ein angespannter Zug, ihr Kinn war störrisch vorgeschoben, ihr Rücken so steif und kerzengerade aufgerichtet, als hätte sie einen Lederstock verschluckt. Tarquin tauschte einen Blick mit seinem Bruder, dessen Reaktion weit von
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