Wilde Chrysantheme
Mitgefühl entfernt war.
Die Meltons gingen, wie Quentin es vorhergesagt hatte, bevor die Farce begann. Sie zogen sich so diskret zurück, daß Juliana nichts von ihrem Aufbruch mitbekam. Als sie zu der Loge hinüberblickte, nachdem die Fackeln erneut angezündet worden waren, um den Zuschauerraum zu erhellen, sah sie die verlassenen Stühle.
Tarquin lehnte sich über die Brüstung und winkte eine Orangenverkäuferin herbei. Sie kam mit einem kessen Lächeln herbeigeschlendert und warf ihm zwei Orangen zu. Er fing sie geschickt auf und ließ dann ein Sixpencestück in ihre offene Hand fallen. Das Mädchen grinste, knickste und schob die Münze zwischen ihre üppigen Brüste, die über dem Ausschnitt ihres Kleides schwabbelten, dessen Rock gerafft war, um ihre Waden und Fesseln zu zeigen. »Wollen Sie nicht runterkommen und sich das Wechselgeld holen, Sir?« rief sie mit einem anzüglichen Zwinkern. »Oder wenn Sie noch ein bißchen was drauflegen, kann man nie wissen, wohin die Sache führt.«
Tarquin schlug ihre Einladung lachend aus. Er zog ein kleines Messer aus seiner Westentasche und begann, eine Orange zu schälen. Dann löste er ein Stück heraus und hielt es an Julianas Lippen. »Öffne dich weit, meine Liebe.«
»Ich bin nicht in Stimmung für anzügliche Scherze«, gab sie scharf zurück und preßte die Lippen zusammen. Aber sie nahm den Orangenschnitz mit den Fingerspitzen entgegen, statt den Mund zu öffnen, um sich von ihm füttern zu lassen, und bedankte sich mit einem förmlichen »Vielen Dank, Sir«.
Tarquin gab ihr den Rest der Frucht ohne weitere Bemerkungen, schälte dann die andere und teilte sie mit Quentin, der allmählich zu dem Schluß gelangte, daß Juliana vielleicht doch nicht ganz das hilflose Opfer war, das er anfangs in ihr gesehen hatte.
Ihr Vergnügen an der Farce war so ansteckend, daß sich die kurzfristige Anspannung in Wohlgefallen auflöste. Tarquin und Quentin wären normalerweise nicht länger geblieben, um sich diese ziemlich vulgäre und einfältige Komödie anzusehen, die die Zuschauer im Saal zu hysterischen Lachstürmen animierte; aber Juliana war so begeistert und fand selbst die derbsten Kommentare derart amüsant, daß sie sich zurücklehnten und ganz einfach ihre Freude genossen.
Als der Vorhang fiel, wischte sie sich die Lachtränen mit einer Fingerspitze aus den Augen. »War das ein Spaß! Ich habe nicht mehr so gelacht, seit ich damals im Kasperletheater bei dem Volksfest in Winchester war.«
George Ridge hatte seinen Abend im Theater ebenfalls sehr genossen, wobei er die Farce den langatmigen, schwerfälligen Monologen der Tragödie vorgezogen hatte – obwohl er zugegebenermaßen schwer beeindruckt war von den Duellen, die sehr realistisch gewirkt hatten. Und Lady Macbeth hatte vor Hühnerblut getrieft, und Banquos Geist war grauenhaft gemeuchelt und erstickt worden.
Am Schluß der Vorstellung strebte er zum Ausgang, während er sich von der Menschenmenge aus dem Saal schieben ließ. An der Tür hatte sich eine Gruppe von Kavalieren um eine geschminkte Puffmutter und ihre bunte Herde geschart. Sie handelten um die Frauen, und der scharfäugigen Madame entging nichts, als sie ihre Mädchen versteigerte. George zögerte noch, während er mit einem besonders üppigen Frauenzimmer in einem kanariengelben Seidenkleid liebäugelte. Dann rief die Bordellbesitzerin: »Zehn Guineen von dem Gentleman in dem gestreiften Gehrock« und schob das Mädchen in die Arme des solcherart beschriebenen Mannes, der daraufhin bereitwillig die geforderte Summe aushändigte, die die Puffmutter in einem Lederbeutel an ihrer Taille verschwinden ließ.
George entschied, daß er heute genug Geld für Frauen ausgegeben hatte. Er würde in das »Gardener's Arms« zurückkehren und dort zu Abend essen, danach höchstens ein paarmal die Würfel rollen lassen. Aber er würde sich eine strikte Grenze setzen, so daß er nicht in Gefahr geriet, auch noch den Betrag für die Tischlerrechnung zu verspielen.
Er bahnte sich einen Weg aus der stickigen Hitze des Theaters und atmete in tiefen Zügen die etwas frischere Luft draußen ein. Es hatte ganz den Anschein, als gewöhnte er sich allmählich an den Gestank in London, da er ihm inzwischen weitaus weniger ausmachte. Während er noch überlegte, ob er eine Sänfte zurück nach Cheapside nehmen, oder ob er das Geld lieber sparen und an einem so herrlichen Abend zu Fuß gehen sollte, entdeckte er plötzlich Juliana.
George starrte sie an,
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