Wilde Flammen
mit dem Zirkus tust, was immer du zu tun gedenkst. Ich bin froh, wenn ich dich nie wiedersehen muss. Denn das hier wirst du mir nie wieder antun!« Ihre Stimme begann zu beben, Jo bemühte sich nicht, es zu kaschieren. »Du wirst mich nie wieder anfassen!«
Lange betrachtete Keane sie schweigend, dann erwiderte er ruhig: »Also gut, Jo.«
Sie schluchzte erstickt auf, wandte sich abrupt um und rannte zum Zelt hinaus nach drauÃen.
10. K APITEL
Im Juli reiste der Zirkus durch Virginia, zog dann weiter nach Kentucky und schlieÃlich nach Ohio. Die Sonne brannte auf das Zeltdach, und das Publikum fächerte sich mit den Programmheften Luft zu. Doch auch wenn es immer heiÃer wurde ⦠alle Vorstellungen waren ausverkauft.
Seit jenem Abend am vierten Juli ging Jo Keane geflissentlich aus dem Weg. Was nicht allzu schwierig war, da er die Hälfte des Monats in Chicago verbrachte.
Innerlich hatte Jo auf Automatik umgestellt. Sie funktionierte. Sie aÃ, weil Essen notwendig war, um ihre Kraft zu erhalten, sie schlief, weil sie die Energie für ihre anstrengende neue Dressurnummer brauchte. Doch das Essen schmeckte nach nichts, und der Schlaf brachte keine wirkliche Erholung.
Weil sie ihre Truppe nicht enttäuschen wollte, setzte sie eine unbeschwerte Maske auf und gab sich den Anschein von Normalität. Was sie jetzt auf gar keinen Fall gebrauchen konnte, waren mitfühlende Fragen und wohlgemeinte Ratschläge. Schon allein wegen der Löwen war es unerlässlich, ihre Gefühle im Zaum zu halten. Und nach den ersten paar Rückschlägen schaffte Jo es schlieÃlich, sich relativ gelassen zu geben.
Sie übte weiter mit Gerry. Der Junge machte gute Fortschritte, und die Arbeit mit ihm half ihr dabei, auch die wenigen freien Stunden auszufüllen. Nur nicht ins Grübeln geraten â das war Jos derzeitige Devise.
An einem Tag, als keine Matinee-Vorstellung stattfand, ging sie mit Gerry in den Manegenkäfig. Je mehr Selbstvertrauen der Junge in den letzten Wochen gefasst hatte, desto mehr Löwen hatte Jo in den Käfig geholt. Jetzt, Anfang August, waren alle zwölf Raubkatzen mit ihr und Gerry im Käfig.
Die einzige andere Truppe, die gerade trainierte, waren die Artisten mit den Dressurpferden. Das Trappeln der Hufe bildete die dumpfe Begleitmusik, als Gerry versuchte, die Löwen eine Pyramide bilden zu lassen. Lazareth musste zweimal scharf ermahnt werden, bevor er endlich auf den Rücken der anderen Löwen sprang.
»Gut«, lobte Jo, als die Pyramide sicher stand.
»Er wollte nicht â¦Â«, begann Gerry sich zu beschweren, doch Jo unterbrach ihn sofort.
»Du musst mehr Geduld haben. Jetzt lass sie wieder auf ihre Plätze zurückkehren.« Jo hielt ihren Ton ruhig und sachlich. »Achte darauf, dass sie nacheinander und in der richtigen Reihenfolge runterspringen und sich auf ihren Hocker setzen. Es ist wichtig, immer die gleiche Abfolge einzuhalten.«
Die Hände in die Hüften gestützt, beaufsichtigte Jo die Szene. Ja, Gerry hatte wirklich Potenzial. Er besaà gute Nerven, Einfühlungsvermögen und Geduld. Dennoch sperrte sie sich vor dem nächsten Schritt â ihn in der Manege allein zu lassen. Sie hielt es für zu riskant, selbst mit Merlin. Gerry war noch immer zu leichtfertig, er hatte noch kein sicheres Gespür für den Charakter der Raubtiere entwickelt.
Jo bewegte sich durch den Ring, was die Löwen nicht weiter störte. Sie waren an sie gewöhnt. Als die Löwen zu ihren Hockern liefen, stellte Jo sich an Gerrys Seite. »Wir gehen jetzt zusammen die Reihe ab, du gibst ihnen den Befehl, sich aufzusetzen. Dann schickst du sie raus.«
Ein Tier nach dem anderen hob die Vordertatzen und schlug in die Luft. Jo und Gerry gingen von Hocker zu Hocker. Die Hitze im Zelt wurde langsam unerträglich, Jo sehnte sich nach einer kalten Dusche und frischer Kleidung. Als sie bei Hamlet ankamen, ignorierte er das Kommando und knurrte stattdessen rebellisch.
Ãbellauniger Rabauke, dachte Jo und wartete darauf, dass Gerry das Kommando wiederholen würde. Was er auch tat. Nur ⦠er trat dabei vor, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen.
»Nicht! Geh nicht zu nah ran!«, warnte sie eindringlich. Und erkannte den veränderten Ausdruck in Hamlets Augen.
Instinktiv zog sie Gerry zurück und stellte sich vor ihn. Im gleichen Augenblick holte Hamlet aus. Brennende Hitze schoss durch Jos
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