Wilde Flammen
schien voller Leben.
»Ist es nicht wunderbar?« Jos Stimme hallte von den Wänden wider. »Es ist nie leer, sie alle sind immer hier â die Artisten, das Publikum, die Tiere.« Jo stellte sich in die Mitte der Manege. »WeiÃt du, was das hier ist?« Sie streckte die Arme in die Luft und drehte sich um die eigene Achse. »Es ist das zeitlose Wunder in einer sich ständig verändernden Welt. Ganz gleich, was da drauÃen passiert, wir sind immer hier.«
Sie schwieg einen Moment und fügte dann leise hinzu: »Dabei sind wir so verletzlich. Wir hängen ab von der Gnade der Elefanten, von Emotionen, von den Launen des Publikums. Doch sechs Tage in der Woche, neunundzwanzig Wochen lang, zeigen wir hier eine Wunderwelt. Im Morgengrauen bauen wir diese Welt auf, und in der Dämmerung verschwinden wir wieder. Das ist Teil des wunderbaren Mysteriums des Zirkus.« Sie wartete, bis Keane zu ihr getreten war.
»Eine leere Weide erwacht zum Leben, wenn die Zelte aufgestellt werden. Plötzlich ziehen Elefanten und Löwen durch die StraÃen der Stadt. Wir werden niemals alt, denn immer entdeckt uns die nächste Generation aufs Neue.« Hoch aufgerichtet stand Jo im Licht der Scheinwerfer. »Das Zirkusleben ist verrückt und aufregend. Und es ist ein hartes Leben. Matschige Lagerplätze, endlose Proben, schmerzende Muskeln. Aber wenn deine Vorstellung zu Ende ist und du weiÃt, dass du dein Bestes gegeben hast, ist es ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Nichts auf der Welt kommt dem gleich.«
»Ist das der Grund, warum du es machst?«
Jo schüttelte den Kopf. »Es ist Teil des Ganzen, es gehört dazu. Ich nehme an, wir alle haben unsere eigenen Gründe. Du hast mich schon einmal gefragt, warum ich das mache. Ich kann es nicht richtig erklären. Vielleicht, weil wir alle an die Magie glauben. Mein ganzes Leben habe ich hier verbracht. Ich kenne jeden Trick, jede Illusion. Ich weià genau, wie es möglich wird, dass zwanzig Clowns in ein winziges Auto passen. Und trotzdem lache ich jedes Mal, wenn ich mir die Nummer anschaue. Es ist nicht nur die Aufregung, es ist auch die Vorfreude. Du weiÃt, du wirst jedes Mal etwas AuÃergewöhnliches zu sehen bekommen.«
Sie marschierte mit hochgereckten Armen quer durch die Manege. »Meine Damen und Herren, sehr verehrtes Publikum«, ahmte sie den Zeremonienmeister nach. »Sehen und staunen Sie! Menschen, Tiere, Sensationen! Lassen Sie sich von noch nie da gewesenen Darbietungen verzaubern. Und jetzt ⦠Applaus für die groÃe Serena mit ihren faszinierenden Elefanten!« Lachend strich Jo sich das Haar zurück. »Oder die kleinen Seitenshows auÃerhalb des Zelts. Ja, kommen Sie heran, treten Sie näher, nur keine Angst. Die schöne Serpentina hat hypnotische Macht über menschenmordende Schlangen. Sehen Sie zu, wie Serpentina die todbringende Kobra und die grausame Boa bändigt. Lassen Sie sich diesen Nervenkitzel nicht entgehen!«
»Baby könnte auf Rufmord klagen.«
Jo sprang auf die Eingrenzung und lachte. »Und wenn die Leute die zierliche Rose mit der Boa constrictor um den Hals sehen, dann haben sie etwas für ihr Geld zurückerhalten und sind zufrieden. Wir geben ihnen, wofür sie gekommen sind â bunte Farben und Fantasie. Das Einzigartige, Nervenkitzel und Spannung. Du hast doch selbst schon gesehen, wie das Publikum den Atem anhält, wenn Vito ohne Netz auf dem Hochseil arbeitet.«
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Mir wäre es ehrlich gesagt lieber, er hätte ein Netz, wenn er da oben in sechzig Metern Höhe herumturnt.« Keane steckte die Hände in die Taschen und runzelte die Stirn. »Er riskiert jeden Tag dabei sein Leben.«
»Das tut ein Polizist oder ein Feuerwehrmann auch.« Sie legte ihm die Hände auf die Schultern.
Es schien ihr wichtiger denn je, ihm den Traum seines Vaters näherzubringen. »Natürlich ist mir klar, was du sagen willst, aber ⦠bei vielen Nummern macht gerade das Element der Gefahr einen GroÃteil der Faszination aus. Wenn Vito seinen Rückwärtssalto auf dem Drahtseil macht, hörst du das gesamte Publikum die Luft anhalten. Mit Netz wären sie sicherlich beeindruckt von seinem Können, aber ihnen würde nicht vor Schreck das Herz stehen bleiben.«
»Ist das denn unbedingt notwendig?«
»Aber ja doch!« Jos ernste Miene hellte sich
Weitere Kostenlose Bücher