Wilde Flammen
auf. »Sie müssen entsetzt und fasziniert und hypnotisiert sein. Das ist im Eintrittspreis enthalten. SchlieÃlich ist das hier eine Welt der Superlative. Wir gehen bis an die Grenzen des Machbaren, des Vorstellbaren. Und diese Grenzen verschieben sich mit jedem neuen Tag. WeiÃt du eigentlich, wie lange es gedauert hat, bis der erste dreifache Salto am Trapez vorgeführt wurde? Heute gehört das zum Standardprogramm.«
Ihre Augen leuchteten auf. »Eines Tages wird einem Artisten der vierfache Salto gelingen. Wenn heute ein Jongleur in der Manege steht und mit drei brennenden Fackeln jongliert, dann wird morgen ein anderer mit vier Fackeln arbeiten. Und übermorgen wird der Nächste die Nummer auf einem galoppierenden Pferd zeigen. Erst tun wir das Unglaubliche, dann das Unmögliche. So einfach ist das.«
»Einfach also«, murmelte Keane und strich ihr übers Haar. »Ich frage mich, ob du das auch sagen würdest, wenn du es mit etwas mehr Abstand betrachten könntest.«
»Das weià ich nicht.« Sie griff seine Schultern fester, als er die Finger in ihr Haar schob. »Diesen Abstand habe ich nie gehabt.«
Sie standen zusammen im Scheinwerferlicht, ihre Körper warfen lange Schatten auf den Manegenboden. Keanes Hände lagen jetzt um ihr Gesicht. »Du bist einfach so bezaubernd«, murmelte er.
Weder rührte sich Jo, noch brachte sie einen Ton hervor. Die Art, wie Keane sie hielt, war irgendwie anders, zärtlicher, zurückhaltender. Dieses Zögern war neu. Auch wenn Keane ihr direkt in die Augen sah, sie wusste den Ausdruck in seinem Gesicht nicht zu deuten. Sie waren einander so nah, dass Jo seinen Atem auf ihrer Wange fühlen konnte. Sie schlang die Arme um seinen Hals und presste die Lippen auf seinen Mund.
Bis zu diesem Augenblick war ihr nicht richtig bewusst gewesen, wie leer sie sich gefühlt hatte, mit welcher Verzweiflung sie sich danach gesehnt hatte, von ihm gehalten zu werden.
Gierig suchte sie seine Lippen, und alle Zärtlichkeit schwand aus seiner Umarmung, seine Hände strichen fiebrig über ihren Körper. Die langen Wochen, in denen er sie nicht angefasst hatte, lösten sich in nichts auf. Jetzt zählte nur noch, wie das Blut durch ihre Adern pulste und die Hitze sich in ihr ausbreitete. Leidenschaft verdrängte Schüchternheit, Jo vertiefte den Kuss, tauchte hinab in wilde, unbekannte Tiefen.
Mit plötzlicher Klarheit begriff sie, dass all ihre Sehnsüchte, all ihre Wünsche nur auf ein Ziel gerichtet waren â Keane.
Jetzt löste er den Mund von ihrem und legte seine Wange für einen Moment an ihr Haar. In diesen Sekunden verspürte Jo mehr Erfüllung und tieferes Glück, als sie je in ihrem Leben empfunden hatte.
Und dann zog Keane sich abrupt zurück.
Verwirrt schaute sie ihm zu, wie er eine Zigarette hervorzog. Sein Feuerzeug flammte auf. »Keane?« Als sie den Blick auf sein Gesicht richtete, wusste sie, dass all ihre Gefühle in ihren Augen zu lesen standen.
»Du hattest einen langen Tag.« Bei seinem seltsam höflichen Ton zuckte Jo zusammen wie unter einem Schlag. »Ich bringe dich zu deinem Wagen zurück.«
Eine Welle von Schmerz überwältigte sie, jagte über ihre Haut wie eine Feuersbrunst. »Warum tust du das?« Zu ihrem Entsetzen stiegen Tränen in ihre Augen, verschlossen ihr die Kehle. Das Licht der Scheinwerfer brach sich in den Tränen wie in einem Prisma und lieà ihr die Sicht verschwimmen. Jo blinzelte heftig.
Mit gerunzelter Stirn betrachtete Keane sie schweigend. »Ich bringe dich zu deinem Wagen«, wiederholte er. Sein sachlicher Ton stachelte Jos Wut weiter an.
»Wie kannst du es wagen!«, stieà sie hervor. »Wie kannst du es wagen, mich dazu zu bringen â¦Â« Fast wäre es ihr herausgeschlüpft: »⦠dich zu lieben«. Doch sie schluckte die Worte hinunter und fuhr stattdessen fort: »⦠dich zu wollen, und dann kehrst du mir den Rücken zu! Ich hatte also doch von Anfang an recht. Erst dachte ich, ich hätte mich geirrt, aber du bist tatsächlich kalt und gefühllos.«
Ihr Atem ging heftig und schwer, doch sie würde nicht eher aufhören, bis sie alles gesagt hatte. »Ich weià wirklich nicht, wie ich mir je einbilden konnte, du würdest begreifen, was Frank dir hier vermacht hat. Dazu bräuchtest du nämlich ein Herz. Ich bin froh, wenn die Saison vorbei ist und du
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