Wilde Flucht
beigefarbene Labrador der Picketts – saß wachsam auf dem Beifahrersitz, als hülfe er seinem Herrn, durch die Kurven zu kommen. Joe passierte alte, mit Wapitigeweihen geschmückte Torbögen und schlängelte sich zwischen hundert Jahre alten Pyramidenpappeln hindurch. Zum ersten Mal hatte er einen Grund, Finotta zu besuchen. Er wünschte nur, er brächte eine angenehmere Nachricht als die, zehn seiner Rinder seien getötet und mindestens eines davon in die Luft gesprengt worden.
Finottas V/U-Ranch war in jeder Hinsicht riesig. Zählte man auch den nur gepachteten Boden zu seinem Besitz, erstreckte sie sich von der Landstraße bis zu den Gipfeln der fernen Bighorns. Die Ranch besaß Wasserrechte am Twelve Sleep River und umfasste über 16 000 Hektar – also über 160 Quadratkilometer – ungemein schönes und abgelegenes Nationalforstgebiet, zu dem auch ein geologisches Wunder gehörte: ein Canyon namens Savage Run.
Joe hatte verschiedene Geschichten darüber gehört, wie der Anwalt Jim Finotta zu seiner Ranch gekommen war, und wusste nicht, welche stimmte. Eine Version besagte, Mac » Rowdy« McBride aus in vierter Generation in der Gegend ansässiger Familie habe die Ranch als berüchtigter Zecher und Schlemmer einfach in den Ruin gewirtschaftet. McBride war noch immer von Mittag an auf seinem Eckhocker in der Stockman-Bar zu treffen – oder in der Nische gleich neben dem Tresen der Rustic Tavern. Finotta, der einige Schadensersatzprozesse gewonnen hatte, in denen die Beklagten zur Zahlung von vielen Millionen Dollar verurteilt worden waren, hatte die Ranch zu einem Zeitpunkt erworben, als der Viehpreis niedrig gewesen und es auch Rowdy McBride schlecht gegangen war. Doch es gab noch eine andere Theorie, wie Finotta an die V/U-Ranch gekommen war.
Diese zweite Version, die Joe in der Stockman-Bar von einem betrunkenen Angelführer zugeflüstert bekommen hatte, war sehr viel düsterer. Demnach hatte Finotta Rowdy McBride in einem Rechtsstreit vertreten, bei dem Umweltschützer die Bundesbehörden zu überzeugen versuchten, den zerklüfteten, spektakulären und abgelegenen Canyon Savage Run zum Nationaldenkmal zu erklären. McBride war natürlich dagegen gewesen. Finotta hatte ihn überredet, den Fall bis vor den Obersten Gerichtshof der USA zu bringen, obwohl praktisch alle Rechtsgelehrten, die sich mit der Sache beschäftigt hatten, der Meinung waren, er habe keine Chance, und obwohl McBride schon vor dem höchsten Gericht des Bundesstaats Wyoming und dem zuständigen Bundesberufungsgericht verloren hatte. Der Oberste Gerichtshof wies die Klage ab, und McBride hatte Anwaltsschulden von mehreren hunderttausend Dollar – zu einem Zeitpunkt, da die Rindfleischpreise auf ein Rekordtief gesunken waren.
Finotta gab sich als Honorar mit der Ranch zufrieden, und der Angelführer und seine Freunde argwöhnten, er habe es von Anfang an nur auf das historische Anwesen abgesehen gehabt und McBrides Wut auf die Bundesbehörden angestachelt und ihm versichert, er werde den Rechtsstreit letztlich gewinnen oder doch zu einem lukrativen Vergleich kommen, obwohl er die ganze Zeit über gewusst habe, dass dies praktisch unmöglich war. Kaum hatte Finotta die Ranch übernommen, nutzte er seine politischen Kontakte – und davon besaß er viele –, um die geplante Erhebung des Canyons zum Nationaldenkmal so lange hinauszuzögern, bis sie von einer späteren US-Regierung vergessen wurde.
Eine Ranch zu haben war für Finotta – wie der Angelführer behauptete – ein Hobby und ein Mittel, in einem Bundesstaat, in dem Rancher einen exklusiven Status besaßen, Macht und Einfluss auszuüben. Wenn begüterte Unternehmer nach dem ultimativen Thema auf Cocktailpartys suchten, sprachen sie nun über ihre Ranch in Wyoming, Montana oder Idaho.
Joe kannte Finotta nicht gut, obwohl sie einander zunickten, wenn sie sich über den Weg liefen, was meist im Gerichtsgebäude und mitunter auf dem Postamt geschah. Finotta war für seine persönlichen und politischen Kontakte bekannt – und dafür, sich ihrer zu rühmen. Er war mit dem Gouverneur befreundet und einer der größten Spendenzahler der beiden US-Senatoren und des Kongressabgeordneten von Wyoming. Er behandelte die Ordnungshüter vor Ort gut und schickte ihnen zu Weihnachten ein halbes oder ein Viertel Rind ins Haus. Sheriff Barnum trank oft seinen Morgenkaffee mit Finotta – genau wie der Bezirksstaatsanwalt und Chef der Polizei.
Als Jim Finotta beschloss, auf dem Gelände seiner
Weitere Kostenlose Bücher