Wilde Flucht
Unfall‹.« Tonk nickte dazu vehement.
» Stewie Woods ist nicht tot«, erklärte Britney Earthshare. Joe kroch ein Frösteln den Rücken hinauf. Dann setzte sie hinzu: » Stewie wird nie tot sein. Menschen wie ihn kann man nicht töten.«
Ach, dachte Joe – das hat sie gemeint.
» Genau wie sie Kurt Cobain und Martin Luther King nicht umbringen konnten, Mann«, setzte Tonk hinzu.
» Verstehe«, brummte Joe, ohne zu verstehen. Die drei waren nicht viel jünger als er, aber so völlig anders.
Sie fragten nach dem Weg zum Krater. Joe sah keinen Grund, es ihnen nicht zu sagen. Er wies auf die Hazelton Road, sagte ihnen, es sei etwa zehn Kilometer weiter, und beschrieb ihnen, wo sie parken konnten.
» Ich wusste, dass wir in der Nähe sind«, sagte Britney zu Raga. » Ich hab gespürt, wie nah wir sind.«
» Und deshalb sind Sie hier?«, fragte Joe.
» Auch deshalb«, sagte Raga. » Wir sind auf dem Weg nach Toronto, zu einer Kundgebung gegen die Globalisierung. Britney wird dort eine Rede halten.«
Sie nickte.
Joe wandte sich zum Gehen.
» Die Leute, die das getan haben, werden wiederkommen«, erklärte Britney sehr deutlich, als er davonging. Er blieb stehen und blickte über die Schulter.
» So einfach können sie Stewie Woods nicht umbringen«, sagte sie in einem seltsamen Singsang.
Joe war schon zurück auf seinen Thron gefahren, ehe er merkte, dass er Tonks Angelschein nicht kontrolliert hatte. Doch er blieb, wo er war.
Die Dinge waren eindeutig interessanter geworden, seit Stewie Woods in seinen Bergen gestorben war. Obwohl die offizielle Untersuchung fast beendet war und keine Nachrufe und Huldigungen mehr in den Nachrichten auftauchten, gingen die Spekulationen unvermindert weiter. Dass es einen seltsamen, graswurzelartig vernetzten Untergrund aus Leuten wie Raga, Tonk und Britney gab, die nun anreisten, um sich den Krater anzusehen, war beunruhigend. Sie schienen etwas zu wissen, was die Öffentlichkeit nicht wusste. Oder sie glaubten doch, sie wüssten etwas. Er hoffte, diese Begegnung bliebe ein Einzelfall. Doch er zweifelte daran.
7
Bremerton, Washington State
14. Juni
Vor einem großen, von Bäumen umstandenen Haus wartete der Alte bei strömendem Regen im schwarzen Ford Pick-up. Es war dunkel, und neben ihm saß Charlie Tibbs.
Der Alte warf ihm ab und an verstohlen einen Blick zu und achtete darauf, ihn nicht direkt anzusehen. Charlies Miene war im dunklen Führerhaus kaum zu erkennen. Nur eine ferne Straßenlaterne warf ein wenig Neonlicht durch die wehenden Äste eines immergrünen Baums. Der Regen, der in Rinnsalen die Frontscheibe hinunterlief, warf wurmartige Schatten auf Charlie, die sein Gesicht fleckig und gesprenkelt erscheinen ließen.
Sie waren hier, um einen Mann namens Hayden Powell zu töten, den Eigentümer des Hauses. Doch Powell war noch nicht heimgekommen.
Der Alte und Charlie Tibbs waren vor zwei Stunden in die farngesäumte Einfahrt gebogen, als sich die Sturmwolken gerade vor das letzte Stück Sternenhimmel über dem Puget Sound schoben. Sie hatten den schwarzen Pick-up in ein Dickicht zurückgesetzt, so dass er von der Straße aus nur gesehen werden konnte, wenn jemand wirklich danach suchte. Dann hatte der Regen begonnen, unaufhörlich. Er strömte so mächtig vom Himmel, und die Vegetation war so dicht, dass die breiten Blätter, die wie übergroße Hände zum Himmel wiesen, sie ruckartig umwogten, als tanzte der Waldboden. Das niederprasselnde Unwetter schüchterte den Alten ein, und er schwieg beharrlich, und schuf eine entrückte Atmosphäre. Allerdings war Charlie ohnehin niemand, mit dem sich ein langes – oder auch nur kurzes – Gespräch hätte führen lassen.
Der Alte fürchtete Charlie Tibbs, dessen Schweigen und ruhige Entschlossenheit aus einer anderen Epoche stammten. Seitdem sie zusammen waren, hatte Charlie nie die Stimme gehoben, und der Alte musste sich oft alle Mühe geben, um ihn zu verstehen. Trotz seiner Jahre – er hielt ihn und sich für Altersgenossen, schätzte Tibbs also auf fünfundsechzig – und seines knochenweißen Haars war Charlie eine beeindruckende Erscheinung. Sogar Männer, die ihn nicht kannten und nichts von seinem Ruf wussten, empfanden in seiner Gegenwart Anspannung. Der Alte hatte das erst an diesem Morgen wieder erlebt, als sie sich Bremerton von Osten her näherten. Als sie ein kleines Café betraten und Charlie den Gang entlang zu einer leeren Nische ging, merkte der Alte, wie die raue Kundschaft aus Bauarbeitern
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