Wilde Flucht
und Lachsfischern über ihrem panierten Beefsteak innehielt und sich aufsetzte, als Charlie vorbeikam. Von diesem Mann ging einfach etwas aus. Und keiner der Arbeiter und Fischer ahnte, dass es sich da um Charlie Tibbs handelte, den legendären Viehdetektiv, der als begnadeter Menschenjäger seit über vierzig Jahren überall in den Rocky Mountains, im Südwesten der USA, in Südamerika und im Westen Kanadas unterwegs war.
Seit den Tagen des freien Weidelands in den 1870er-Jahren, als die Prärie noch nicht eingezäunt und unter den Ranchern verteilt war, hatten Viehdetektive eine spezielle Rolle in Rinderzuchtgebieten gespielt. Sie wurden von einzelnen Ranchern oder Grundbesitzerkonsortien beauftragt, Viehdiebe und illegale Siedler aufzuspüren und vor Gericht zu bringen – oder in einigen Fällen verschwinden zu lassen. Es gab nur noch wenige solcher Viehdetektive, und von ihnen galt Charlie Tibbs als der Beste. Doch die Leute in diesem Café wussten nur, dass der groß gewachsene Mann mit dem weißen Haar und dem Stetson ein ungewöhnlicher, besonderer Mensch war. Jemand, bei dem sie sich aufrichteten, wenn er vorbeiging.
» Dieser Regen gefällt mir nicht«, sagte der Alte laut, um das Prasseln auf dem Autodach zu übertönen. » Und ich glaube, diese Ecke der USA mag ich auch nicht. So was bin ich nicht gewöhnt. Würde man heute Nacht da draußen sterben, wäre man am Morgen schon von Unkraut überwuchert.«
Der Alte wartete auf eine Antwort oder Reaktion, doch von Charlie kam nur ein ganz knappes Lächeln.
» Ich finde einfach, man sollte keinem Ort trauen, wo die Blätter größer als Menschenköpfe sind«, setzte der Alte hinzu.
Er beobachtete, wie Charlie die Hände hob – riesige, kräftige Hände –, sie aufs Lenkrad legte und mit dem Zeigefinger durch die Frontscheibe zeigte. Der Blick des Alten folgte der Bewegung.
» Da ist er«, sagte Charlie ungerührt. » Er ist nach Hause gekommen, und es sieht aus, als sei er allein.«
» Hat er uns gesehen?«
» Er hat sich nicht mal umgeschaut und ist ohne Licht unterwegs. Er muss betrunken sein.«
Der Alte hob ein schweres Nachtfernglas. Durch die regennasse Frontscheibe sah er deutlich, wie Hayden Powells Wagen langsam die Einfahrt hochkam, als erwartete der Fahrer, dass das Garagentor aufging, was es nicht tat. Powell trat kurz vor dem Tor auf die Bremse, und die Rücklichter leuchteten so grell auf, dass der Alte, der noch immer durchs Nachtglas sah, geblendet fluchte.
Alles, was der Alte nun sah, war ein grünweißer Kreis, als hätte er ins Blitzlicht eines Fotografen geschaut. Während er wartete, dass seine Augen sich wieder an die Dunkelheit gewöhnten, nahm Charlie ihm behutsam das Fernglas aus der Hand und blickte hindurch.
» Er ist betrunken«, sagte er. » Wie erwartet. Er hat es nicht geschafft, die Garage vom Auto aus zu öffnen, und versucht nun herauszufinden, mit welchem Schlüssel er die Haustür aufschließen kann. Jetzt hat er die Schlüssel auf den Rasen fallen lassen und tastet auf allen vieren nach ihnen. Wir könnten ihn bei dieser Gelegenheit erwischen.«
Der Alte sah Charlie in Erwartung von Anweisungen an. Welche Waffen würden sie benutzen? Was war diesmal geplant? Der Alte unterdrückte seine Panik.
Er wusste nicht viel über Hayden Powell, doch er wusste genug. Er wusste, dass Powell ein bekannter Autor war, der über Umweltthemen schrieb und mit vielen Artikeln und einer Biografie über seinen Jugendfreund Stewie Woods berühmt geworden war. Powell war zu großem Reichtum gekommen – nicht durch seine Veröffentlichungen, sondern dadurch, dass er früh in ein Software-Unternehmen in Seattle investiert hatte. Als das Unternehmen richtig groß wurde, bekam es ein professionelles Management, und Powell wurde allmählich rausdrängt. Nun, da er nur noch sein riesiges Haus, eine gewaltige Menge Aktien und viel freie Zeit hatte, war er zu den beiden Dingen zurückgekehrt, die er am liebsten mochte: Er trank Tequila und schrieb provokative Texte über die Umwelt.
Gerüchte wollten wissen, sein nächstes Buch werde Wer den Westen kaputtmacht heißen und eine böse Anklage gegen Konzerne, Grundbesitzer und Politiker sein. Auszüge daraus waren in Magazinen und Zeitungen erschienen. Dennoch hatte Powell große Probleme. Die Börsenaufsicht ermittelte gegen die Software-Firma, und die von ihm gewonnenen Investoren, von denen manch einer Millionen in das Unternehmen gesteckt hatte, waren wütend. Powell hatte Todesdrohungen
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