Wilde Flucht
Ragamuffin«, sagte die Frau abrupt mit kratziger, weinerlicher Stimme. Joe wandte sich zu ihr um, und der Eindruck, sie zu kennen, verstärkte sich.
Raga schüttelte seine Haarpracht, legte den Kopf in den Nacken und blickte Joe überheblich an. » Das ist Britney Earthshare. Eigentlich heißt sie natürlich anders, aber so lässt sie sich nennen. Vielleicht haben Sie vor einigen Jahren ihr Bild in den Medien gesehen. Sie hat in Nordkalifornien auf einem Baum gelebt, um gegen das Abholzen eines jahrhundertealten Waldes zu protestieren.«
Stimmt, dachte Joe – die kenne ich aus dem Fernsehen. Sie war von Reportern befragt worden, die ihre Mikrofone neben dem Baum, dem sie den Namen » Duomo« gegeben hatte, in die Höhe reckten. Die Antworten hatte sie von ihrer luftigen Plattform aus gerufen, die mit Hochtechnologie im Wert von vielen tausend Dollar und mit modernster Outdoor-Ausrüstung bestückt gewesen war.
Britney Earthshare blickte Joe kurz an und sah dann weg. Ich langweile sie bereits, mutmaßte er.
» Mag sein, dass Sie kein gegrilltes Fleisch essen«, sagte Joe, » aber kennen Sie den Mann, der ein Stück weiter aufwärts angelt?«
» Tonk?«, fragte Raga.
» Gehört er zu Ihnen?«
Raga nickte. » Treibt er was Böses?«
» Wahrscheinlich nicht. Aber ich muss trotzdem seine Erlaubnis prüfen.«
Raga verschränkte die Arme, und Britney verdrehte die Augen.
» Seine Fahrerlaubnis?«, fragte Raga.
» Seinen Angelschein.«
» Hmmm«, machte Raga.
In diesem Moment kam Tonk aus dem Unterholz auf den Zeltplatz. Dabei redete er und hatte Joe offenkundig nicht bemerkt.
» Die blöde Strömung hat mir die Köder weggerissen«, schimpfte er. » Drei hab ich verloren, und jetzt hab ich …« Tonk sah Joe und verstummte mitten im Satz, den Joe für ihn zu Ende führte: » Jetzt haben Sie einen Drillingshaken im Arm.«
Tonk streckte den Arm aus und zuckte gequält und fast komisch zusammen, wie Kinder es tun, wenn Erwachsene sie an Verletzungen erinnern, die sie längst vergessen haben. Der Haken war tief in seinen kräftigen Bizeps gefahren, und alle vier Augenpaare richteten sich nun darauf.
» Er hatte sich in einem Strauch verfangen, und als ich ihn zurückzog, kam er mit Affenzahn auf mich zugeschossen.« Tonk wirkte etwas verlegen. » Tut ziemlich weh.«
Joe riet ihm, nach Saddlestring zu fahren und sich den Haken in der Klinik entfernen zu lassen. » Sollte Doktor Johnson nicht da sein, können Sie ihn sich auch vom Tierarzt rausziehen lassen«, erklärte er. » Der entfernt bei Anglern und ihren Hunden ständig die Haken, und bei ihm kostet es nur halb so viel wie bei Doktor Johnson.«
Tonk nickte matt. Der Haken in seinem Fleisch schlug ihn in Bann, und Britney und Raga ging es nicht anders.
Unvermittelt wandte Britney sich an Joe. » Sie sagten, Sie seien der Jagdaufseher, richtig?«
Joe nickte.
» Ich hab gelesen, dass vorige Woche bei der Entdeckung des explodierten Rinds ein Jagdaufseher dabei gewesen ist«, sagte sie. » Und dass die Detonation hier in der Nähe war.«
Raga war plötzlich mehr an Joe interessiert als an Tonks Missgeschick.
» Der Jagdaufseher war ich«, erwiderte Joe. » Ich war als einer der Ersten am Tatort.«
Der Zeltplatz schien stiller geworden zu sein, und die drei Camper musterten Joe nun viel intensiver.
» Deshalb sind wir hier«, erklärte Raga. » Um den Ort zu finden, an dem Stewie ermordet worden sein soll.«
Joe brauchte einen Moment, um zu antworten. » Wer sagt, er sei ermordet worden?«
Raga setzte ein selbstzufriedenes Grinsen auf. Er schüttelte den Kopf, als wollte er sagen: Das werde ich dir nie verraten.
» Haben Sie seine Leiche gefunden?«, fragte Tonk und vergaß für einen Moment seine Verletzung.
» Nur seine Schuhe«, erwiderte Joe. » Eine Leiche war nicht zu entdecken.«
» Ich hab’s ja gewusst.« Tonk trat näher und stand nun neben Raga. Er sprach mit der überdrehten Intensität, die Kiffern und Entrechteten seit Generationen zu eigen zu sein schien. » Ich hab’s gewusst, Raga!«
Britney sezierte Joe mit ihrem Blick, und er starrte zurück.
» Die Leiche von ihr haben Sie gefunden, aber die von ihm nicht, stimmt’s?«, fragte sie.
» Der Bericht der staatlichen Ermittler kam zu dem Schluss, dass er einen Unfall mit Sprengstoff hatte«, sagte Joe. » Der Sheriff sieht das ebenso. Es war ein Unfall, kein Selbstmord. Und schon gar kein Mord.«
Raga lachte verächtlich. » Ja, wie Präsident Kennedys kleiner ›
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