Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilde Flucht

Wilde Flucht

Titel: Wilde Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Babys launischer geworden war und mitunter von mächtigen Gefühlen überwiegend rührseliger Natur schier überwältigt wurde. Mitunter konnte sie nicht genau sagen, was sie zum Weinen gebracht hatte. Er hatte gelernt, sie nicht zu bedrängen, ihm sofort eine klare Antwort zu geben, weil sie bisweilen einfach keine Antwort parat hatte. Das machte ihr selbst mehr zu schaffen als Joe, denn sie war eine Frau, der grundlose Theatralik völlig fernlag.
    Worum auch immer es sich handeln mochte: Joe wusste, dass er erfahren würde, was sie bedrückte, wenn Marybeth sich erst gefangen hatte und bereit war, es ihm zu sagen.
    Er wartete eine halbe Stunde lang und trank dabei die Kaffeekanne leer. Als sie noch immer nicht herunterkam, setzte er seinen Hut auf, rief Maxine und ging nach draußen zu seinem Pick-up, um mit der Arbeit zu beginnen.

6
    Joe nannte es thronen. Zu thronen hieß, in den Breaklands der Vorberge zu patrouillieren, wo die Salbeisträucher den Kiefern wichen. Dort fuhr er seinen Pick-up über holprige Feldwege auf Klippen und Kuppen hinauf und suchte mit dem am Beifahrerfenster befestigten Spektiv Ebenen, Wiesen und Waldschneisen nach Wild, Jägern, Wanderern und Anglern ab. Obwohl er nun schon zwei Jahre in Saddlestring stationiert war, fand er noch immer neue, bestens geeignete Throne in seinem Bezirk, der aus fast viertausend Quadratkilometern hoch gelegener Prärie, Salbeistrauchebenen, zerklüfteten Breaklands und Bergen bestand. An diese Beobachtungspunkte, wo er » sitzen und durchs Fernrohr schauen« konnte, führte in der Regel ein Weg, der im Laufe der Jahre von Ranchern, Landvermessern und Jägern gebahnt worden war.
    Seit Marybeths Gefühlsausbruch – also seit ein paar Tagen – hatte Joe viel dort oben gethront. Er hatte das Haus früh verlassen, war spät zurückgekehrt und hatte die Stunden dazwischen mit Routinepatrouillen verbracht. Es war die seltsame Zeit zwischen Jagd- und Angelsaison. Selbst wenn er jede Stunde seines Arbeitstags Patrouille fahren würde, könnte er die viertausend Quadratkilometer seines Bezirks nie angemessen kontrollieren. Und doch war es ein wichtiger Teil seiner Arbeit.
    Abends hatte er bis spät in die Nacht in seinem kleinen Büro neben der Umkleide seines Hauses gearbeitet, Bücher und Berichte auf den neuesten Stand gebracht, einen ausführlichen Anschaffungsantrag für die Waren und Gerätschaften ausgefüllt, die er im nächsten Haushaltsjahr brauchen würde – Sättel, Zaumzeug, neue Reifen, Reparatur des Dachs usw. –, und darauf gewartet, dass Marybeth zu ihm käme und erklärte, was an dem Morgen vor ein paar Tagen los gewesen war. Sie mussten noch immer reden und die Luft reinigen. Jedes Mal, wenn er sie an seiner Tür vorbeigehen hörte, hielt er inne und hoffte, sie werde eintreten, die Tür hinter sich zumachen und sagen: » Was neulich morgens angeht …« Er drängte sie nicht, obwohl der Vorfall im Haus so gegenwärtig war wie unerwünschter Verwandtenbesuch. Mehrmals hatte er zu ihr gehen wollen, sich das aber ausgeredet. Sein Schuldgefühl wegen ihrer Schussverletzung und des anschließenden Verlusts des Babys, das sie erwartet hatten, war wie ein Messer, das stets in die Nähe seines Herzens zielte.
    Nachdem die Mädchen am Morgen zur Schule aufgebrochen waren und die Stille zwischen ihnen so laut wie weißes Rauschen zu werden drohte, erzählte er ihr von seiner Begegnung mit Jim Finotta. Sie hörte zu und schien froh zu sein, irgendwas zu bereden – Hauptsache nicht das, worüber er sprechen wollte. Ihre Augen erforschten die seinen, während er sprach.
    » Joe, bist du sicher, dass du diese Angelegenheit weiterverfolgen willst?«, fragte sie.
    » Er hat ein Wapiti gewildert. Er ist nicht besser als jeder andere Verbrecher. Er ist sogar schlimmer.«
    » Aber du kannst es ihm nicht nachweisen, oder?«
    » Noch nicht.«
    Sie blickte auf einen Punkt hinter seinem Kopf. » Joe, erstmals seit unserer Hochzeit lässt sich absehen, dass wir die letzte Rate unserer Schulden bezahlen können. Ich habe zwei Jobs. Ist das wirklich die Zeit, um sich mit einem Mann wie Jim Finotta anzulegen?«
    Ihre Frage überraschte ihn, obwohl sie es nicht hätte tun sollen, und brachte ihn kurz aus dem Gleichgewicht. Marybeth war absolut pragmatisch – vor allem, wenn es um ihre Familie ging.
    » Ich muss es herausfinden«, sagte Joe, doch seine Entschlossenheit bröckelte. » Das weißt du.«
    In ihr Gesicht trat ein langsames, ergebenes Lächeln. » Das weiß

Weitere Kostenlose Bücher