Wilde Flucht
ich, Joe. Ich möchte nur nicht, dass du wieder in Schwierigkeiten gerätst.«
» Ich auch nicht.«
Und für einen Augenblick sah er, dass sie noch etwas sagen wollte. Aber sie tat es nicht.
In den Bergen hielten sich gegen Ende des Frühlings und zu Anfang des Sommers nur selten viele Menschen auf, weil unberechenbare Gewitter von der Kontinentalen Wasserscheide herabfegen und viel nassen Schnee bringen konnten und weil das Schmelzwasser der Bäche und Flüsse noch zu schäumend, trüb und reißend war, um zu angeln oder zu schwimmen. Noch lag verharschter Schnee in Schattenwinkeln und Bodensenken und hatte sich aus der Prärie und von den Salbeisträuchern in die Zuflucht dicht bewaldeter Gebiete zurückgezogen.
Maxine schlief auf dem Beifahrersitz. Ihr Kopf lag auf den Vorderpfoten, und ein Traum ließ sie die Stirn sorgenvoll runzeln.
Hazelton Road – die Straße, die dorthin führte, wo das Rind explodiert war – verlief aufwärts durch den Wald nach Westen, und auf dem kleinen Campingplatz am Bach parkte nur ein Auto, das teilweise von Bäumen verdeckt war. Daneben stand ein hellgrünes Kuppelzelt. Joe richtete sein Spektiv auf Zelt und Campingplatz und fühlte sich wie ein Voyeur. Durch ein von Entfernung und Wärme verursachtes Schimmern hindurch sah er Leute an einem Picknicktisch sitzen. Zwei untersetzte Frauen – die eine mit dünnem, glattem Haar, die andere mit einem fülligen dichten Braunschopf – saßen sich gegenüber. Zwischen ihnen lagen Geräteteile auf dem Tisch, die Joe aus der Entfernung nicht erkennen konnte. Was immer die Frauen dort treiben mochten: Sie hatten sich tief über ihre Arbeit gebeugt, so dass er keines der Gesichter ausmachen konnte.
Er schwenkte das Spektiv über den Rest des Platzes: leer.
Ein Stück den Bach hinauf allerdings warf ein spindeldürrer Mann mit strähnigem Bart und ausgeleierter Hose seine Angel ins tosende Wasser aus. Er hielt sich kerzengerade, und der eine Schuh stand am Ufer, der andere auf einem Stein im Bach. Joe lächelte. Keine Angelweste, kein Spinnerkasten, kein Korb, keine Watstiefel – und kein krummer Rücken, mit dem man sich an vielversprechende Stellen anzuschleichen pflegt. Dieser Mann ähnelte einem Angler so wie Joe einem Kricketspieler. Der Bach toste und würde sich erst in sechs Wochen – Mitte Juli – beruhigen, klar werden und zum Fischen taugen. Gegenwärtig hatte das Schmelzwasser ihn über die Ufer treten lassen, und die Strömung riss jeden Köder mit und schwemmte ihn in die Weidenbüsche am Bach.
Dennoch mussten Angler nicht nur eine Genehmigung, sondern auch die Wertmarke dabeihaben, die es ihnen erlaubte, in einem bestimmten Gebiet überhaupt zu fischen, selbst wenn es – wie in diesem Fall – unwahrscheinlich war, dass ein Tier anbiss. Joe hatte dafür zu sorgen, dass Angler Genehmigungen besaßen. Er schob das Spektiv ins Etui, rollte die Scheibe hoch, ließ den Wagen an und riss Maxine damit aus ihrem sorgenvollen Abenteuer.
Eine der untersetzten Frauen am Picknicktisch erwies sich als Mann mit dicken Dreadlocks, die ihm über die Schultern auf den Rücken wallten, doch die Frau kam ihm bekannt vor. Beide drehten sich zu ihm um, als er ausstieg und auf den Zeltplatz kam. Sie waren damit beschäftigt, einen ramponierten Gaskocher wieder zusammenzusetzen, was den Mann zu überfordern schien.
Joe ließ Maxine im Wagen, da die Camper Hunde haben mochten, und näherte sich den beiden auf dem feuchten, mit Kiefernnadeln übersäten Weg. Ihr Auto – ein zwanzig Jahre alter Chevrolet-Kleinbus – hatte Nummernschilder aus Kalifornien. Joe stellte sich vor, und das Paar tauschte einen verstohlenen Blick.
Die beiden sahen absichtlich zerlumpt aus. Er trug eine khakifarbene, auf modische Art schlampige und fleckige Hose mit abtrennbaren Beinen und dazu T-Shirt und offenes Schlabberhemd.
» Raga«, sagte der Mann, wischte die Hände an seiner Hose ab und erhob sich. » Und das ist Britney. Unser Kocher will einfach nicht funktionieren.«
» Sie können ja die Feuerstelle ben☺utzen«, schlug Joe vor und wies auf den Kreis rußiger Steine. » Es ist noch früh im Jahr, und für das Feuermachen gelten noch keine Einschränkungen.«
» Wir machen keine Feuer«, sagte Raga und schnaubte verächtlich. » Wir essen kein gegrilltes Fleisch. Wir achten auf die CO 2 -Bilanz.« Das sollte wohl eine Herausforderung sein, doch Joe hatte kein Interesse, darauf einzugehen.
» Raga?«, fragte er.
» Die Abkürzung für
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