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Wilde Flucht

Wilde Flucht

Titel: Wilde Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
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käme. Und für einen Moment war er bei Sinnen.
    Blut färbte die Bäume. Fetzen von Textilien, Menschen- und Rindfleisch hingen von den Ästen. Der Korditgestank der Explosion stand überwältigend in der Luft und wollte nicht weichen.
    Er lag nicht am Boden. Er schwebte. Er war ein Engel!
    Die Art, wie Stewie das sagte, ließ Joe auflachen.
    Er beobachtete von oben, wie sich die drei Männer mit Cowboyhüten dem rauchenden Krater näherten. Er hörte nur ein gleichförmiges Rauschen, das dem Brüllen einer stürmischen Meeresbrandung ähnelte. Rote und gelbe Kügelchen, die auf das Konto seines lädierten Kopfes gingen, trieben durch sein Blickfeld und erinnerten ihn an die Zeit, als er mit vier Mitgliedern vom Stamm der Salish-Kootenai im Nordwesten Montanas Peyote genommen hatte. Damals allerdings hatte er gelacht.
    Doch er war kein Engel – der Gedanke allein war absurd – und hatte auch keine außerkörperliche Erfahrung, obwohl er sich dessen nicht sicher sein konnte, da er etwas Derartiges bisher nicht erlebt hatte. Seine Seele hatte seinen Körper nicht verlassen und trieb nicht über den blutbefleckten Ästen.
    Als das Rind explodiert war, hatte es auch ihn aus den Schuhen gerissen und in die Luft geschleudert, doch dann war es abwärts gegangen, bis ihn der dicke Ast einer Kiefer an der Schulter aufgespießt hatte. Seine Füße – der eine mit, der andere ohne Socke – hatten unter ihm im Wind gebaumelt.
    So etwas hatte er nicht für möglich gehalten.
    Was für eine Tragödie, dass es seine Frau in tausend Stücke zerrissen hatte, ehe er sie richtig hatte kennenlernen können! Umgekehrt fragte er sich, ob er nicht das Beste an ihr kennengelernt hatte und gesegnet war, sie überhaupt gekannt zu haben. Dennoch hatte sie absolut nicht verdient, was ihr widerfahren war. Ihr einziges Verbrechen war, dass sie mit ihm zusammen gewesen war. Heftig blinzelnd hatte er sich bemüht, wach und bei Bewusstsein zu bleiben.
    Die Männer unter ihm hatten gelbes Absperrband um den Krater gezogen und waren im Dunkeln wieder gegangen. Zwei von ihnen hatten mit einander zugewandten Cowboyhüten und wippenden Köpfen geredet. Er hatte darauf gewartet, dass der abseits stehende Mann aufsah, und sich gefragt, ob sein aufs Laubwerk tropfendes Blut keine Geräusche machte.
    » Das war ich«, sagte Joe.
    » Das weiß ich inzwischen.«
    Bald bin ich tot, hatte er gedacht und war eingenickt.
    Doch er war nicht tot. Der Gedanke an seine Frau hatte ihm seltsamerweise Kraft gegeben. Als er aufwachte, waren die Männer verschwunden, und der Wald war dunkel und still.
    Ein Rabe landete direkt vor ihm auf dem blutigen Ast. Seine Schwingen waren so groß, dass sie an beide Seiten seines Kopfes stießen, als er sich niederließ. Er hatte noch nie einen lebenden Wildvogel aus solcher Nähe gesehen. Das war kein Disney-Vogel, nein, das war ein Hitchcock-Vogel. Seine Federn waren schwarz und schimmerten bläulich, und das Tier hüpfte so nah an Stewie heran, dass er sich in den Wassertropfen des Gefieders gespiegelt sah. Der Rabe neigte den Kopf mit abgehackten, mechanisch anmutenden Bewegungen von einer Seite zur anderen und blickte ihn durchdringend und leidenschaftslos aus Augen an, die glänzenden Knöpfen aus Ebenholz glichen. Dann schlug er Stewie den schwarzen Schnabel in den Hals, und als er wieder auftauchte, steckte ein Stück rotes Fleisch darin.
    Er hatte die Lider fest geschlossen, damit der Rabe ihm nicht die Augen auspicken konnte. Der Vogel begann, ihm das Fleisch in Streifen vom Gesicht abzuziehen. Der Schnabel fuhr ihm immer wieder hart in die Wange und zerrte so lange, bis er ein Stück abgezupft hatte. Dann setzte sich der Rabe ruhig auf und verschlang den Streifen mit munter nickendem Kopf auf einen Sitz, als würde es sich um einen fetten, blutigen Wurm handeln.
    Als der Wind zunahm und sein Körper leicht im Wind wehte, hatte er nur einen Gedanken: dass er diesen Vogel wirklich hasste.
    » Auch ich habe diesen Vogel gesehen, als ich auf besagten Baum geklettert bin«, sagte Joe. » Diese Begegnung hat mich abstürzen lassen.«
    Er befreite sich, indem er sich von seinem Spieß wuchtete, was ihm Schmerzen bereitete, wie er sie nie zuvor erfahren hatte. Danach war er so geschwächt, dass er vom Baum eher fiel als kletterte. Die nächsten zehn Tage verbrachte er kriechend. Er war ein Tier geworden und hatte gelernt, sich wie ein Tier zu verhalten. Er versuchte, etwas Essbares zu töten, doch seine Größe und

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