Wilde Magie - Wilde Magie - Fever / Wild Rain
Sofort eilte Rio herbei und stellte ihren Fuß sacht auf dem Boden ab. Zu ihrer Überraschung zitterten seine Hände. »Danke, so ist es besser. Entschuldige die Unterbrechung, bitte erzähl weiter.«
Rio zuckte die Schultern. »Ich rannte ihr nach, aber es war schon zu spät. Ich hörte den Schuss. Bei Nacht tragen Geräusche meilenweit. Als ich sie fand, war sie schon tot und gehäutet. Er hatte ihren Pelz genommen und sie wie Abfall auf dem Boden liegen lassen.« Rio schloss die Augen, doch er konnte die Erinnerung nicht verdrängen. Die Insekten und Aasfresser waren bereits angerückt. Den Anblick würde er sein Leben lang nicht vergessen. »Mit unseren Toten dürfen wir kein Risiko eingehen. Wir verbrennen sie und verteilen ihre Überreste über ein weites Gebiet. Ich tat, was ich tun musste, und unterdessen wurde meine lodernde Wut eiskalt. Ich wusste, was ich tun würde. Ich habe es sorgfältig geplant, während ich mich um sie gekümmert habe. Weil ich es nicht ertragen konnte,
über das nachzudenken, was ich gerade tat, deshalb habe ich bei dieser Arbeit jeden weiteren Schritt genau durchdacht.«
»Rio, sie war deine Mutter, was hattest du denn erwartet?«, fragte Rachael sanft. »Wie solltest du anders empfinden?«
»Trauer. Nicht Wut. Er hat ja keine Frau getötet, sondern ein Tier. Das wird von der Gesellschaft akzeptiert. Es ist zwar nicht legal, aber man nimmt es hin. Er hatte nicht die Absicht, einen Menschen zu töten - und in gewisser Weise war sie ja auch kein Mensch. Man lehrt uns, dass solche Missverständnisse vorkommen können und dass wir damit rechnen müssen. Jedes Mal, wenn wir unsere Tiergestalt annehmen und im Wald herumlaufen, gehen wir ganz bewusst ein Risiko ein. Wilderer dringen oft in unser Reich vor, das war mir bekannt. Man hatte mich gewarnt. Und meine Mutter ebenso. Doch sie hat das Risiko fast jede Nacht auf sich genommen, genau wie ich. Es war ihre Entscheidung und ihr Wagnis. Das lehren uns die Ältesten, und sie haben Recht. Wir sollen so etwas nicht als Mord betrachten. Man bringt uns bei, dass wir es als Unfall betrachten.«
»Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das möglich ist, Rio. Bewundernswert vielleicht, aber doch nicht sehr wahrscheinlich, sobald es um die eigene Familie geht.«
Rio berührte Rachaels Mund. Diesen verführerischen, wunderschönen Mund, der ihn stets so bereitwillig verteidigte. Damals hatte niemand etwas zu seiner Verteidigung gesagt. Da war er noch ein Hitzkopf gewesen und die Wut hatte ihn fest im Griff gehabt. Trotz seine einzige Gegenwehr. »Ich glaube nicht an ›Auge um Auge‹.« Er schaute auf seine Hände hinunter. »Nicht einmal damals. Ich weiß,
dass ich mit diesem Mord nichts erreicht habe. Ich habe sie nicht wieder lebendig gemacht und mich auch nicht besser gefühlt. Natürlich hat sich mein Leben verändert, und trotzdem kann ich mich nicht dazu bringen, über seinen Tod traurig zu sein. Wünsche ich mir, ich hätte es nicht getan? Ja. Würde ich es noch einmal tun? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich. Es war wie etwas Krankes in mir, Rachael, wie ein quälendes Geschwür im Bauch. Ich habe ihn verfolgt und sein Lager gefunden. Ihren Pelz hatte er zum Trocknen an einer Wand aufgehängt, und ihr Blut klebte noch an seiner Kleidung. Hass überwältigte mich. Ich schwöre, dass mir dieses Gefühl bis zu dem Augenblick gänzlich unbekannt war. Er trank gerade und feierte seinen Erfolg. Ich ließ ihm keine Chance. Ich habe kein Wort gesagt, habe ihm nicht einmal den Grund genannt.« Rio schaute auf und blickte Rachael direkt in die Augen. Er wollte, dass sie die Wahrheit über ihn wusste. Dass sie genau wusste, was er getan hatte.
»Ich denke, ich hatte Angst, es ihm zu sagen, Angst, Reue oder Bedauern in seinem Blick zu lesen. Ich wollte ihn tot sehen und hab ihm einfach die Kehle herausgerissen. Ihr Pelz hing an der Wand hinter ihm.«
Die Galle kam ihm hoch, genau wie vor all den Jahren. Er hatte sich erbrechen müssen, wieder und wieder, doch er hatte den Pelz von der Wand gerissen und ihn verbrannt, so wie man es ihm beigebracht hatte. Dann war er zu den Ältesten gegangen, um ihnen alles zu gestehen.
»Du verurteilst dich dafür, dass du den Mann verfolgt hast, der deine Mutter getötet hat, dabei verdienst du doch dein Geld damit, Menschen aus gefährlichen Situationen zu retten. Und deine Fertigkeiten als Scharfschütze setzt du dafür ein.«
»Es war nichts dergleichen, Rachael. Ich habe nicht mein Leben oder das eines
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