Wilde Magie - Wilde Magie - Fever / Wild Rain
herumgelaufen sein sollte, brachte sie dazu, sich auch nach dieser Freiheit zu sehnen. Nur wenige Minuten jemand anderer zu sein, etwas anderes, das mehr Selbstbeherrschung und mehr Möglichkeiten hatte. Etwa die, über Äste zu laufen. Rachael hob die Arme, um sich die Vorstellung zu vergegenwärtigen. Tief in ihr regte sich eine Kraft. Irgendetwas Ungezähmtes. Wildes. Das frei sein wollte. Feuer loderte in ihren Adern, und etwas Lebendiges bewegte sich unter ihrer Haut. Ihre Finger krümmten sich. Das Gesicht tat weh. Die Knochen knackten und krachten.
»Nein!«, befahl Rio scharf, nahm sie bei den Schultern und zog sie von der Tür weg ins sichere Haus. Dann schlang er den Arm so fest um ihre Taille, als wollte er sie an sich ketten. »Was hattest du vor?«
»Ich weiß nicht.« Rachael schaute ihn nicht an. Sie sah nur die verführerischen Bäume, das wehende Laub und das dichte Kronendach. Selbst der Regen mit seinem gleichmäßigen Rhythmus schien sie zu locken. »Was mache ich nur, Rio?«
»Dein Bein ist noch nicht gut genug verheilt. Eine Verwandlung würde es ohne weitere Verletzung nicht überstehen. Du darfst es noch nicht zulassen.«
»Kann ich es denn aufhalten? Es ist in mir drin, wird es nicht einfach herauskommen, so wie bei dir?« Äußerlich
wirkte Rachael gelassen, doch in ihrem Innern mischte sich Erregung mit Angst. Sie hielt die Nase in den Wind und verstand, welche Botschaften er ihr zutrug. Sie hörte die Vogelstimmen im Kronendach und verstand, was sie mitteilten. Sie sah unter Blättern versteckte kleine Eidechsen, Insekten und Gottesanbeterinnen so deutlich wie im Scheinwerferlicht.
Das Funkgerät in Rios Hand knackte und rauschte. »Wir sind drin. Wir sind drin«, meldete eine Stimme leise.
Rachael war sich dessen bewusst, dass der Funkspruch wichtig war. Sie erkannte die Anspannung in der Stimme und auch in Rio. Doch das Wilde in ihr entfaltete sich mehr und mehr und breitete sich siedend heiß in ihrem Körper aus. Bescherte ihr eine nie gekannte Sehfähigkeit. Sie nahm sogar noch bewegte Nebelbilder in Rot- und Gelbtönen wahr, selbst wenn sie direkt ins Dunkle spähte. Es war Nacht geworden, und der geisterhafte Nebel hatte das Baumkronendach wieder verhüllt. Weiße Schleier wehten durch die Bäume wie Spitzenvorhänge. Rachael atmete tief ein und sog die Nachtluft in ihre Lungen.
»Verdammt noch mal, Rachael, ich mache die Tür zu.« Rio beugte sich herab, um ihr Gesicht zu mustern. »Deine Augen verändern sich, die Pupillen sind schon erweitert. Du musst dagegen ankämpfen.«
Rachael sah blinzelnd zu ihm auf. Rio drängte so sehr, sein Tonfall schien besorgt. Sie lächelte ihn an, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie keine Angst hatte. Nur ein bisschen vielleicht, aber es war eine schöne Form von Angst. Sie wollte ihre andere Seite hervorkommen lassen. Sie spürte jetzt ganz deutlich, wie sie unaufhaltsam nach außen drängte. Sie konnte Schmerz und Leid abschütteln
und die reinen Freuden der Freiheit kennenlernen. Ohne Rücksicht auf Verpflichtungen einfach nur die Düfte und Geräusche der Natur genießen.
Die Versuchung wurde so groß, dass sie Rio beiseiteschob und zur Tür zurückging. Rios Griff hätte ihr fast die Schulter gebrochen. »Rachael, schau mich an.« Er zog sie in seine Arme und drückte sie fest an die Brust. Er konnte fühlen, wie das Wilde Besitz von ihr ergriff, sah, dass ihre Augen kaum noch menschlich waren. »Kämpf dagegen an. Bleib bei mir. Du kannst die Verwandlung nicht riskieren, solange es deinem Bein nicht bessergeht. Nicht, wenn es das erste Mal ist.«
Er küsste sie. Das war das Einzige, was ihm einfiel, um sie zu halten. Außerdem sah sie einfach hinreißend aus, seine Sirene aus dem Regenwald. In dem Moment, in dem seine Lippen ihren Mund berührten, schlang Rachael ihm die Arme um den Hals und presste sich so fest an ihn, dass sie förmlich miteinander verschmolzen. In der Schwüle des Dschungels war ihre Haut wie heißer Samt, sie streichelte und reizte damit seine Haut, bis die Reibung ihre eigene Gluthitze erzeugte. Er krallte die Finger in ihr Haar, ballte sie zur Faust und küsste sie heißhungrig. Unersättlich. Vergaß alles außer Rachael.
Sie fühlte sich, als wäre sie von einem Traum in einen anderen geraten. Die Wildheit wich der Leidenschaft. Ungezähmtes, zügelloses Verlangen nach diesem einen Mann überwältigte sie. Er war der Einzige. Sie hatte daran gedacht, sich von ihm zu trennen. Ihn zu schützen, indem sie
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