Wilde Magie - Wilde Magie - Fever / Wild Rain
Meile um Meile hinter sich brachten. Rio begann, müde zu werden, seine Beine gaben nach, und die Lungen gierten nach Luft. Seine Füße, obwohl an langes Barfußlaufen gewöhnt, waren zerfetzt und blutig. Er brauchte mehrere Stunden, in denen er dreimal anhielt, um sich zu erholen, Joshua Wasser zu geben und die Druckverbände über den Wunden neu zu befestigen.
Kurz vor der Morgendämmerung wankte Rio schließlich ins Dorf, müde und verschwitzt und völlig durchnässt. Niemand kam aus dem Haus, obschon alle wussten, dass
er da war. An den Stellen, an denen Joshua eng an seinen Körper gepresst war, lief dessen Blut über Rios Haut. Die unablässigen Regenschauer hingen wie Schleier zwischen Rio und den Häusern. Er ging auf das Haus des einzigen Arztes zu. Eine Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit. Die Ältesten traten auf die Veranda und beobachteten ihn durch den strömenden Regen.
Rio blieb taumelnd vor Erschöpfung einen Augenblick stehen und spürte, wie ihn Zorn übermannte. Und Scham. Er war wieder zweiundzwanzig und stand mit dem Blut seiner Mutter und dem ihres Mörders an den Händen vor der Ratsversammlung. Er hob den Kopf und reckte das Kinn. Sie würden ihn nie akzeptieren. Sich nie mit seinem Makel behaften. Er durfte seine Leute beschützen und ihnen seinen Anteil vom Geld geben, doch an seinen Händen klebte Blut, und das würden sie ihm nie verzeihen. Er kniff die Lippen zusammen und straffte die Schultern. Seine Augen funkelten stolz, sein ausgeprägtes Kinn war trotzig vorgeschoben. Es machte ihm nichts aus, wenn sie ihn im Dorf nicht duldeten. Er wollte gar nicht dort leben. Und er weigerte sich zu glauben, dass ihm der Umgang mit seinesgleichen fehlte.
In den Häusern begann sicher schon das Geraune. So war es immer, wenn er zu ihnen gehen musste und ihr Territorium betrat. Jedesmal glaubte er, dass es anders sein würde, besser - dass sie ihn doch wieder aufnahmen. Aber ihre Gesichter blieben hart oder abgewandt, oder sie schauten einfach durch ihn hindurch, als existiere er gar nicht. Rio zwang seinen müden Körper zu einer letzten Kraftanstrengung und trug Joshua direkt zum Haus des Arztes. Sie würden ihn nie in ihr Haus einladen oder mit ihm sprechen. Selbst falls sie glaubten, das Blut an seinem
Körper stamme von ihm, würden sie keine Fragen stellen oder ihm Hilfe anbieten. Für sie war er tot.
Langsam stieg Rio die Stufen zur Veranda hoch und setzte Josh in einem Stuhl ab. Als er sich umdrehte, um zu gehen, fasste Joshua ihn am Arm. Er hatte nicht mehr viel Kraft, doch er ließ nicht los. Rio wandte sich um und beugte sich zu ihm hinab. »Du bist jetzt zu Hause, in Sicherheit.«
»Danke, Rio. Danke für alles, was du getan hast.«
Rio drückte ihm kurz die Hand und schirmte diesen Abschied mit dem Körper ab, damit Joshua keinen Ärger mit dem Rat bekam. »Viel Glück, Josh.«
Dann drehte Rio sich stocksteif um, ging die Stufen wieder hinunter und blieb stehen, um verächtlich und stolz in die Runde zu blicken. Den vertrauten Anblick in sich aufzunehmen. Irgendetwas zerrte an seinem Herzen, etwas Verborgenes, Hässliches. Jäh flackerte sein Temperament auf und setzte seine Eingeweide in Brand. Entschlossen drehte er allem den Rücken zu und ging in den Wald, dahin, wo er hingehörte. Einen Augenblick sah er seine Umgebung verschwommen. Er dachte, das läge am Regen, doch als er blinzelte, wurde seine Sicht wieder klar und seine Augen brannten. Rio zwang sich, ruhig weiterzuatmen und sagte sich, dass er am Leben und auf dem Rückweg zu Rachael war, und das war alles, was zählte.
14
L autlos trat Rio ins Haus und ließ die Tür offen stehen, damit auch die kleinste Brise eingefangen wurde. Der Regen, der unaufhörlich niederströmte, hüllte Veranda und Haus in dichten weißen Dunst. Das Moskitonetz vollführte einen geisterhaften Tanz, doch sein Blick war auf Rachaels Gesicht konzentriert. Wie er zurückgekommen war, wusste er nicht mehr. Seine Füße schmerzten, er war müde und wund, und tief in ihm loderte flammender Zorn. Er hatte sich gewaschen, ehe er ins Haus ging, und gehofft, dass der reinigende Wasserfall auch seine Wut und seinen Schmerz fortspülte. Vergebens.
Düster tauchte er über Rachael auf und betrachtete sie, er konnte seine Wut kaum noch zügeln. Und der Schmerz zerfraß ihn. Zum ersten Mal im Leben fühlte er sich einsam. Rachael hatte das bewirkt, sie hatte ihn wieder lebendig gemacht. Sie faszinierte und reizte ihn. Machte ihn glücklich,
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