Wilde Pferde in Gefahr
zu lassen. Erst in Las Vegas werde ich wieder in den Sattel steigen, denn bis dahin hoffen wir, ein neues Gesetz durchzubringen, das diese grausame Mustangjagd verbietet. Aber Annie weiß mehr darüber. Annie …«
Wie jedes Mal bei einem offiziellen Anlass warAnnie elegant gekleidet. Das dunkelblaue Kostüm mit den weißen Rüschen, die Schuhe mit den hohen Absätzen und das sorgfältig geschminkte Gesicht ließen sie eher wie eine Geschäftsfrau aus Las Vegas aussehen. Nicht einmal im Traum hätte ein Fremder vermutet, eine Rancherin, die berühmte Wild Horse Annie, vor sich zu haben.
Auch ihre helle und damenhafte Stimme passte nicht zu der Vorstellung, die fast alle Menschen von ihr hatten. »Wisst ihr, wie viele Mustangs es einmal im amerikanischen Westen gab?«, fragte sie und antwortete gleich selbst: »Fünf Millionen! Über fünf Millionen! Inzwischen gibt es nur noch zwanzigtausend Mustangs. Seit dem Zweiten Weltkrieg, der vor vierzehn Jahren zu Ende ging, haben die Mustangjäger über hunderttausend Tiere eingefangen und in die Schlachthöfe gebracht. Über hunderttausend Mustangs! Ist das nicht furchtbar? Sie töten die Mustangs auf noch grausamere Weise, wie die Jäger im Wilden Westen die Büffel abgeschlachtet haben, und ihr wisst sicher, dass nur wenige Hundert dieser prächtigen Tiere überlebt haben. Wenn wir die Mustangjäger weiter gewähren lassen und nichts gegen das grausame Abschlachten unternehmen, wird es den Mustangs genauso ergehen, dann sind diese stolze Tiere in wenigen Jahren ausgestorben.«
Sie legte eine kurze Pause ein, um den Kindern die Möglichkeit zu geben, über das Gesagte nachzudenken, dann fuhr sie fort: »Nun werdet ihr sagen, es gibtdoch genug Pferde in unserem Land. Warum regt sich diese Wild Horse Annie ausgerechnet über Mustangs auf? Weil die Mustangs ganz besondere Tiere sind. Weil sie, wie vielleicht nur noch die Büffel, für die Ideale stehen, die den amerikanischen Westen für viele Tausend Einwanderer zum begehrten Ziel gemacht haben: die Freiheit des Einzelnen, die Kraft der Mutigen, den Stolz der Menschen, die in diesem wilden Land überlebt haben. Wäre es nicht jammerschade, wenn wir diese prächtigen Tiere nicht mehr bewundern könnten? Wäre es nicht so, als hätten wir unsere eigenen Ideale mit Füßen getreten? Wäre das nicht eine Sünde?«
Annie ließ ihre Worte in der betretenen Stille wirken. »Wie ihr vielleicht wisst, kamen die ersten Pferde mit den Spaniern nach Amerika«, berichtete sie dann. »Hernando Cortés, ein bekannter Konquistador, ein Eroberer, brachte sie an Bord seiner Schiffe in die Neue Welt. Es waren ganz besondere Pferde. Als die Araber in Spanien einfielen, ritten sie auf kleinen und wendigen Pferden, wie sie typisch für den nordafrikanischen Raum waren. Diese Tiere vermischten sich mit den stämmigen Pferden der Spanier und wurden zu einer neuen Rasse, den Andalusiern. Diese Andalusier brachte Cortés nach Amerika mit. Und hätte er diese Pferde nicht gehabt, hätte die amerikanische Geschichte vielleicht einen ganz anderen Verlauf genommen und wir wären womöglich alle gar nicht hier. Denn wie hätten die Spanier sonst die Indianer besiegen können? Diesewaren ihnen zahlenmäßig weit überlegen. Nicht mal die Feuerwaffen hätten ihnen was genützt. Nur weil sie beritten und deshalb beweglicher waren, behielten sie die Oberhand. ›Die Pferde waren unsere Rettung‹, notierte Cortés, ›nicht nur Gott, auch die Pferde haben uns geholfen die Eingeborenen zu unterwerfen‹.‹«
Peggy beobachtete, wie aufmerksam die Schüler zuhörten. Keine Selbstverständlichkeit, wenn sie an ihre eigene Schulzeit zurückdachte. Bei einem der Vorträge war sie sogar mal eingeschlafen. Aber Annie verstand es, ihre jungen Zuhörer zu fesseln. Weil sie von dem, was sie sagte, überzeugt war, vermutete Peggy.
»Natürlich wurden auch die Indianer auf die Pferde aufmerksam«, berichtete Annie, »vor allem die Komantschen. Sie merkten schon bald, dass sich die wendigen Reittiere besonders gut für die Büffeljagd eigneten, und stahlen sie den Spaniern. Über die Komantschen kamen sie zu den Sioux und Cheyenne. Aber viele Tiere entkamen den Spaniern und verteilten sich über die weiten Ebenen des Westens. Hier fanden sie ganz andere Lebensbedingungen vor. Sie konnten sich ausschließlich von Gras ernähren, saftigem Gras, wie es auch die Büffel bevorzugten, und wurden noch kräftiger und ausdauernder. ›Büffelpferde‹ nannten die Indianer
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