Wilde Rose der Prärie
er gut gelaunt. „Wenn man die Karten behält, dann hat man entweder ein gutes Blatt oder zumindest eine Chance, gut zu bluffen, wenn die Karten nichts taugen. Schwieriger ist es zu wissen, wann man sie zurückgeben sollte. Wenn das Blatt keine Chance hat, sollte man besser aufgeben."
Lorelei stutzte. „Wollen Sie mir nahelegen, dass ich aufgeben soll?" Der Tag war so zermürbend gewesen, dass sie es nicht mal schaffte, einen beleidigten Tonfall anzuschlagen, obwohl es sie ärgerte, was sie da hörte.
„Nein, Ma'am", antwortete der Captain. „Ich will damit nur sagen, dass es manche Kämpfe gibt, die es nicht wert sind, ausgefochten zu werden."
„Wenn Sie nicht meine Ranch meinen ... "
Der Captain tätschelte ihre Hand. „Denken Sie darüber nach", sagte er und stand auf, zog zum Abschied an der Hutkrempe und verschwand dann in der Dunkelheit. Lorelei spürte, wie sich ihre Kehle zuschnürte. Zugleich empfand sie Verwirrung. Denken Sie darüber nach, hatte der Captain gesagt. Aber über was?
Sie war zu müde und fühlte sich zu erschlagen, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen, dennoch wusste sie, dass sie darüber grübeln würde, bis sie endlich eingeschlafen war. Mit ihrer Tasse ging sie zur Quelle, spülte sie dort gründlich aus und brachte sie dann zum Versorgungswagen, so wie es auch die anderen gemacht hatten.
Mr. Cavanagh gab ihr ein paar zusammengerollte Decken. „Tillie und Melina haben sich bereits hingelegt. Sie sollten das besser auch machen, Miss Lorelei." Während sie bestätigend nickte, musste sie gähnen. Wäre sie noch munter genug gewesen, dann hätte sie ihn gefragt, ob er mit der rätselhaften Bemerkung des Captains etwas anfangen konnte. Aber so konnte sie froh sein, wenn sie die Mission erreichte, ohne auf dem Weg dorthin vor Müdigkeit zusammenzubrechen. Daher musste jede weitere Frage warten.
Sie durchquerte das Lager, hielt das zusammengerollte Bettzeug in beiden Armen und richtete sich auf dem Steinfußboden der Mission auf eine kurze Nacht ein. Tillie schlief bereits und hielt die Puppe an sich gedrückt. Sorrowful hatte sich an ihren Füßen zusammengerollt, Melina lag ein Stück weiter auf dem Boden, hatte die Augen geschlossen und einen Rosenkranz um ihre Finger gelegt. Lorelei breitete ihre Decken aus, entledigte sich ihrer Schuhe und legte sich hin. Da ihr so vieles durch den Kopf ging, war sie davon ausgegangen, sich erst einmal eine Weile hin und her zu wälzen. Stattdessen jedoch fiel sie von einer Sekunde zur nächsten in einen tiefen Schlaf.
Irgendetwas ließ sie später in der Nacht wach werden.
Draußen zirpten Grillen, in der Ferne heulte ein Kojote. Davon abgesehen herrschte völlige Stille, und ebenso vollkommen war die Dunkelheit, in die das Land ringsum getaucht war. Was war es bloß, das sie aus ihrem tiefen, traumlosen Schlaf geholt hatte?
Sie stützte sich auf die Ellbogen und blinzelte, bis sich ihre Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten. Ohne den Mond, der durch die bunten Fenster und durch die Eingangstür schien, hätte sie überhaupt nichts erkennen können.
Melina schlief fest, der Mondschein erhellte ihre zarten Gesichtszüge. Nach wie vor hielt sie den Rosenkranz fest.
Tillie und Sorrowful waren verschwunden.
Beunruhigt legte Lorelei eine Hand an ihren Hals. Es gab keinen erkennbaren Grund, warum sie sich fürchten sollte, und doch war es so.
Sie warf die Decken zur Seite, zog ihre Schuhe an und stand auf. Vor der Tür blieb sie stehen und lauschte aufmerksam, während sie überlegte, wohin die beiden gegangen sein mochten. Wenn sie nach Tillie rief, würde sie nur das ganze Camp aufwecken.
Vermutlich hatten sich die beiden zum Versorgungswagen begeben, sagte sie sich und wurde ein wenig ruhiger. Bestimmt hatte Tillie Hunger bekommen, oder sie hatte schlecht geträumt und wollte bei ihrem Vater sein. Körperlich war sie zwar eine erwachsene Frau, aber ihr Verstand war immer noch der eines kleinen Kindes. Lorelei lief hinüber zum Wagen und sah darunter nach. Dort lag John Cavanagh im dichten Gras und schnarchte leise. Von Tillie war nichts zu entdecken. Plötzlich berührte jemand sie am Ellbogen, vor Schreck fuhr sie zusammen. Als sie sich umdrehte, sah sie Holt, der mit zerzaustem Haar und zerknitterter Kleidung hinter ihr stand und gähnte. „Was ist los?"
Ehe sie sich eine Antwort überlegen konnte, was nicht so schnell ging, da sie selbst noch im Halbschlaf war, begann irgendwo in der Dunkelheit Sorrowful zu bellen. „Es ist
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