Wilde Rose der Prärie
räumte er ein, als er das Gespann vom Wagen losmachte. „Aber ich kenne auch keinen besseren Menschen als ihn."
Lorelei schnaubte herablassend und ließ ihre Hände auf den Hüften ruhen. „Ich finde, er ist unausstehlich."
Falls Mr. Cavanagh sie gehört hatte, ließ er sich das nicht anmerken. Sie sah jedoch, wie er grinste, als er sich wegdrehte und die Pferde zum Trinken zu der kleinen Quelle führte, die gleich neben der Kapelle dieser Mission entsprang. Gut hundert Meter dahinter verlief ein Strom, dessen Wasser einladend kühl sein musste. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf Melina und Tillie, die sich angeregt unterhielten, während sie Zweige und getrocknete Kuhfladen für das Feuer sammelten, über dem ihr Abendessen zubereitet werden sollte. Sie schloss sich ihnen an, damit ihr niemand nachsagte, dass sie eine bevorzugte Behandlung erwartete. Sie mochte ein Greenhorn sein, aber wenn sie weitermachen musste, bis sie zusammenbrach, dann würde sie genau das tun.
Mit Seilen, die er um einige Bäume band, schuf einer der Cowboys einen Pferch für die Pferde und Maulesel. Zwei andere Männer nahmen Eimer vom Wagen und füllten sie an der Quelle auf, damit die Tiere etwas zu trinken bekamen. Als das erledigt war, begaben sich bis auf Rafe, Mr. Cavanagh, den Captain und Holt alle johlend und lachend zum Fluss und entledigten sich unterwegs ihrer Stiefel. Lorelei beschloss, sich die Mission etwas genauer anzusehen, zum einen weil es in dem verputzten Gebäude kühl sein würde, zum anderen wollte sie es so lange wie möglich vermeiden, Holt McKettrick zu begegnen. Als sie die Schwelle überquerte, erfasste sie ein Gefühl der Ehrfurcht. Den Steinboden hatten im Laufe vieler Jahre die Sandalen zahlloser Menschen geglättet, an einer Wand waren noch die fahlen Umrisse eines Kreuzes zu sehen, das dort einmal gehangen hatte. Von einem Altar war nichts zu entdecken, und es ließ sich nicht mal sagen, ob es den hier überhaupt je gegeben hatte. Nur eine Bank hatte man zurückgelassen.
Lorelei nahm ihren geborgten Hut ab und genoss die fast völlige Stille. Aus weiter Ferne war die von den Menschen und Tieren erzeugte Geräuschkulisse schwach zu hören, und durch die Bleiglasfenster fiel sanftes Licht ins Innere. Sie nahm auf der Bank Platz, ließ den Kopf sinken und begann zu weinen. Es hatte nichts damit zu tun, dass jeder Muskel in ihrem Leib vor Schmerz pochte. Es hatte auch nichts damit zu tun, dass sie sich auf eine Reise begeben hatte, von der sie nicht einfach zurücktreten konnte, obwohl sie rein gar nichts darüber wusste, wie man eine Ranch führte, ob nun mit oder ohne Vieh.
Es hing vielmehr mit dem armen Raul zusammen, der schwer verletzt war und der Schmerzen hatte, der vielleicht sogar durch ihre Schuld als Krüppel enden würde. Und mit der Tatsache, dass ihre Mutter in einem Irrenhaus gestorben war. Und mit William, der durch einen Sturz zu Tode kam, noch bevor er seine ganze Kindheit hatte erleben dürfen.
Und mit dem Schuss, der auch nach so vielen Jahren noch in ihrem Kopf nachhallte. Jenem Schuss, der bedeutete, dass das arme Pony einen schrecklichen Preis hatte zahlen müssen, weil alle Hoffnungen von Richter Alexander Fellows auf seinem Sohn geruht hatten. „Lorelei?"
Abrupt versteifte sie sich. Jeder x-beliebige Mensch hätte in diese verstaubte und vergessene Zuflucht kommen und sie dabei überraschen können, wie sie das Gesicht in ihren Händen verbarg und wie ihre Schultern bei jedem Schluchzer zuckten. Warum aber musste es ausgerechnet Holt McKettrick sein?
„Gehen Sie weg", sagte sie und atmete tief durch, während sie verzweifelt versuchte, ihre Fassung wiederzuerlangen.
Sie hätte wissen müssen, dass er genau das Gegenteil von dem tun würde, was sie sagte. Anstatt wegzugehen, setzte er sich rittlings auf die Bank, sodass er sie ansehen konnte. Dabei drehte er unablässig den Hut in seinen Händen. „Ich war heute ziemlich grob zu Ihnen", begann er leise. „Das tut mir leid." Sie wusste, er war es nicht gewöhnt, diese Worte auszusprechen. Das konnte sie seinem Verhalten und der ungelenken Art anmerken, in der sie ihm über die Lippen kamen. Diese Tatsache war für sie jedoch kein wirklicher Trost. „Sie schmeicheln sich selbst vergeblich, wenn Sie glauben, Sie hätten meinen Willen gebrochen."
„Lorelei, ich versuche nicht mal, Ihren Willen zu brechen."
Ihre Blicke trafen sich, sie wischte mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. „Ach, nein? Beleidigen Sie
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