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Wilde Rosen: Roman (German Edition)

Wilde Rosen: Roman (German Edition)

Titel: Wilde Rosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Fforde
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unmöglich, den Zettel unbemerkt aus der Schachtel zu nehmen, also mußte sie sie auswendig lernen. Zum Glück hatte sie ein gutes Gedächtnis. Doch während sie die Nummer in ihrem Kopf vor sich hin betete, zitterten ihre Hände.
    »Augenblick. Ich bin nicht sicher, ob das hier der richtige Karton ist.« Sie gab ein sehr sally-haftes Lachen von sich. »Sie wollen ja bestimmt nicht die Quittungen meiner Garderobe durchsehen.«
    »Im Augenblick nicht, nein.«
    Die Angst war ihr in die Glieder gefahren und blockierte ihr Hirn, so daß sie zweifelte, ob sie sich noch an Hughs Namen erinnern konnte, geschweige denn seine Telefonnummer. Einer Panik nahe, machte sie aus der Zahlenfolge einen Liedtext, der auf »It Had to Be You« paßte, und prägte ihn sich ein. In Gedanken wiederholte sie ihn zweimal, um sicher zu gehen.
    »Es ist doch der richtige«, sagte sie und reichte den Karton hinüber.
    Der Mann entriß ihn ihr förmlich.
    Und wie sollte sie jetzt mitsamt Telefon ins Schlafzimmer kommen, ohne daß die Männer Verdacht schöpften? Sie durchquerte das Boot im lässigen Schlendergang und hockte sich neben den Ofen, als sei ihr kalt. Ihr war tatsächlich kalt, jedenfalls schlotterte sie. Aber das lag vermutlich in erster Linie an ihrer Angst. Sie steckte ihre bebenden Hände unter die Achseln. Sie trug eine weite Patchworkstrickjacke, die Sallys Mutter gestrickt und die Sally Harriet geliehen hatte. Irgendwie war sie bei May gelandet, und seither trug sie sie fast immer. Die weiten Ärmel brachten sie plötzlich auf einen Gedanken.
    Das Telefon lag auf dem Bücherregal. Wenn sie es in den Ärmel gleiten lassen konnte, brauchte sie den Männern nur noch zu sagen, sie ginge auf die Toilette. Wie zufällig legte sie den Arm auf das Regal, ließ die Männer nicht aus den Augen, die die Papiere im Schuhkarton durchblätterten, und ihre Finger schlossen sich um das Telefon. Gleich würde sie es in ihrem Ärmel verschwinden lassen, und dann brauchte sie nur noch ...
    »Wen wollen Sie denn anrufen?«
    »Anrufen? Ich?« Gott, sie hörte sich an wie Miss Piggy. »Oh, nur meinen Freund. Wir sind verabredet, und jetzt komm’ ich zu spät.«
    Der Wortführer sah zu seinem Begleiter, der einen Moment überlegte und dann nickte.
    »Okay. Rufen Sie ihn nur an.«
    Wie in aller Welt sollte sie Hugh ihre Situation begreiflich machen, ohne daß sie es merkten? Sie drückte die Tasten. Oh, Hugh, bitte, bitte sei im Büro. Und bitte, nimm selbst ab, laß mich nicht bei deiner Sekretärin landen.
    »Ja?« bellte eine Stimme.
    »Hugh? Bist du das?«
    »Wer spricht da?«
    »Liebling!« Es klang furchtbar unecht und theatralisch. »Ich bin’s, May. Ich ruf nur an, um zu sagen, daß ich vielleicht ein bißchen später zu unserer Verabredung komme. Ich hab’ Besuch von diesen Herren bekommen, die die Bücher durchsehen und so.«
    »May? Wovon reden Sie da? Und warum nennen Sie mich ›Liebling‹? Sind Sie in irgendwelchen Schwierigkeiten?«
    May kicherte verführerisch. »Du hast es mal wieder erraten. Du könntest vorbeikommen.«
    »Kannst du offen reden?«
    »Natürlich nicht, du Dummkopf«, säuselte sie.
    »Hast du Angst?«
    »Könnte man so nennen. Ich kann’s kaum erwarten, dich zu sehen.«
    »Ich komme, so schnell ich kann.«
    »Du bist ein Schatz.«
    Als sie das Telefon ausschaltete, war ihr schwindelig vor Erleichterung, und es kam ihr beinah so vor, als habe sie sich in Sally verwandelt. Doch als sie an sich hinabsah, auf ihre Arbeitshose und ihre Doc Martens, fühlte sie sich ernüchtert. Wie überzeugend wirkte sie wohl in diesem Aufzug?
    »Mein Freund kommt in ungefähr zwei Stunden«, sagte sie beiläufig. »Sind Sie bis dahin fertig?«
    Der Mann hob die Schultern. »Das hängt davon ab, was wir finden. Aber ich denke, schon.«
    May hockte auf den Stufen zur Seitentür, die im Sommer meistens offenstand, um Licht, Luft und Leute hereinzulassen. Jetzt im Winter boten die Stufen einen zusätzlichen Sitzplatz. May fühlte sich erbärmlich. Es schien Ewigkeiten her, seit sie Hugh angerufen hatte, und er war immer noch nicht aufgetaucht. Sie fühlte sich schrecklich allein.
    Endlich hörte sie seinen Schritt auf dem Welldeck. Die Tür öffnete sich ohne vorheriges Anklopfen, und Hugh trat ein.
    Mays erster, abwegiger Gedanke war, daß er recht hatte, was die Deckenhöhe auf dem Boot betraf und daß sie sicher noch fünf Zentimeter herauschinden könnte, wenn sie das Ballastproblem anders löste. Ihr zweiter Gedanke war, wie

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