Wilde Rosen: Roman (German Edition)
einer Kordel um ihren Hals hing ein Kugelschreiber. Sie nahm ein Klemmbrett von einer nahen Fensterbank. »Würd’s euch was ausmachen, mit nach oben zu kommen, während wir reden? Ich muß hören, wie viele Stunden Jethro gearbeitet hat.«
Sally und Harriet wechselten beunruhigte Blicke. May schien eine Metamorphose zu einer Art tüchtiger Geschäftsfrau durchlaufen zu haben. May war immer der Motor ihres Unternehmens gewesen, aber da waren sie zu dritt. Jetzt schien dieses ganze Gebäude zu pulsieren, überall wurde gehämmert, gebohrt und gesägt, und hinter alldem schien May zu stecken.
»... also habe ich ihm gesagt, wir würden’s machen«, schloß May ihre Geschichte. »Es kam mir vor wie ein Fingerzeig des Schicksals. Da saß ich, völlig verzweifelt, kein Liegeplatz mehr, abgebrannt, Schulden bis über beide Ohren, und da kommt er plötzlich an, schwimmt im Geld und sucht händeringend nach jemandem, der ihm den Innenausbau fertigmacht. Ich mußte ihm einfach anbieten, es zu tun. Ich kenne so viele Handwerker, die Geld brauchen. Zum Beispiel ein Vater-und-Sohn-Team, die legen Wasserrohre, Elektroleitungen und können auch noch tapezieren und streichen. Sie sind unterwegs. Per Boot natürlich. Sie sollten morgen ankommen. Jed kann alles, was mit Holz zu tun hat, Möbel schreinern, Holzböden legen, einen Dachstuhl bauen.«
»Also, was tun wir?« fragte Sally.
»Na ja, wir koordinieren alle Arbeiten, sorgen dafür, daß alle das nötige Material haben, die Kosten nicht ausufern oder machen die Handlangerjobs. Und wenn es so weit ist, will ich bei der Inneneinrichtung helfen. Jed arbeitet nachts, also wenn er einen Gehilfen braucht, werde ich das machen. Wär’ nicht fair, irgend jemand anderes zu bitten.«
»Und was kann ich machen?« fragte Sally und versteckte ihre Zweifel hinter ihrem Enthusiasmus.
»Wir brauchen einen Lkw«, antwortete May. »Aber wir wissen nicht, wo wir ihn herkriegen sollen. Du mußt irgendwen überreden, uns seinen Laster zu borgen. Jethro und Jed werden ihn fahren.«
Trotz des unglücklichen Ausgangs hatten die Erfahrungen des Weihnachtsfestes Sallys Selbstvertrauen gestärkt. »In Ordnung, May. Überlaß das mir. Und ich werde mich um die Lampen und so weiter kümmern. Ich bin eine Expertin in Beleuchtungsfragen.«
»Und ich übernehme die Farbgestaltung, such’ die Vorhangstoffe aus und so weiter. Wenn ich freie Hand habe.«
»Absolut«, versprach May.
»Und wenn du ein paar wirklich fremdländische Blumenarrangements willst, die kann ich auch liefern«, sagte Sally. Sie konnte ihre Tannenzweigerfahrungen ebensogut auch hier zum Einsatz bringen. Wenn sie genug Beschäftigung fand, würde sie das vielleicht von ihrem Liebeskummer ablenken.
Als der Salon der Rose Revived schließlich wieder mit Bettzeug und Bewohnerinnen gefüllt war, hielt der Vorstand von Cleaning Undertaken eine Sitzung ab.
»Es wäre phantastisch, wenn das hier ein Erfolg würde«, meinte Harriet.
»Ja. Wir haben uns so abgerackert mit dem Putzen und kaum den Kopf über Wasser halten können«, fügte Sally hinzu. »Es wäre toll, zur Abwechslung mal ein bißchen Profit zu machen.«
May war todmüde und unterdrückte ein Gähnen. »Es wäre nicht nur phantastisch oder toll, es ist lebensnotwendig, daß es ein Erfolg wird. Dies ist meine letzte Chance, die Rose Revived zu behalten. Der Vorschuß, den Rupert mir gezahlt hat, hält mir Mike im Augenblick vom Leib, aber wenn wir es nicht schaffen, muß ich verkaufen.«
Es herrschte ein kurzes Schweigen, während Harriet und Sally das in sich aufnahmen.
»Wir schaffen es«, sagte Sally mit Nachdruck. »Immerhin sind wir ein Team. Und es geht nicht mehr nur um uns, sondern genauso um Jed und Jethro und Debra. Ganz zu schweigen von dem Vater-und-Sohn-Team, das morgen ankommt. Ich habe ein gutes Gefühl bei dieser Sache, wirklich.«
Auf der Rückfahrt mit Peter hatte Sally den Entschluß gefaßt, den beiden anderen nichts von der Rolle in der Seifenoper zu erzählen, die man ihr praktisch angeboten hatte. Sie würden wissen wollen, warum sie nicht zum Vorsprechen ging, und ihre Gründe würden zu endlosen Diskussionen führen. Sally hatte die Absicht, Peters Rat zu befolgen und sich in Geduld zu fassen. Wenn er recht hatte und James sie wirklich liebte, würde er nach London kommen, sobald seine kranken Kühe, seine Scheu und seine Zeit es zuließen, und sie ausfindig machen.
Und wenn er kam und hörte, daß sie nicht mal zu dem Vorsprechen gegangen
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