Wilde Rosen: Roman (German Edition)
Aber hier bist du sicher. Der einzige Zugang von der Straße her wimmelt nur so von Wachleuten.«
»Aber Debra hat für alle Suppe und Sandwiches gemacht!« Sie hörte selbst, daß sie wie eine Ehefrau klang, die stundenlang mit dem Tee warten muß, weil ihr Mann auf ein schnelles Bier in den Pub will. Sie versuchte zu lächeln.
Hugh schüttelte den Kopf. »Ich muß los. Jethro leiht mir sein Fahrrad, damit ich zu meinem Wagen komme, aber ich muß es ihm anschließend zurückbringen, und meine Zeit wird langsam knapp.«
May wurde bewußt, daß er bald weit weg in Amerika sein würde, nicht nur am anderen Ende der Stadt in seinem Büro oder seiner Wohnung. »Seh’ ich dich noch, bevor du fährst?«
Er schüttelte den Kopf. »Das bezweifle ich. Ich muß mich noch um verschiedenes kümmern.« Er zögerte. »Soll ich dir eine Postkarte schicken?«
May hatte sich schnell wieder im Griff. Langsam gewöhnte sie sich daran, erschüttert zu sein, seit gestern morgen war es ja eine Art Dauerzustand. Aber die Vorstellung, eine »Wunderbares Wetter, wünschte, du wärest hier«-Postkarte zu bekommen, machte sie auf einmal ganz krank. Außerdem wollte sie nicht, daß er merkte, wie ungern sie ihn gehen sah.
»Nein, nein. Es ist so lästig, Postkarten schreiben zu müssen.«
Hughs Ausdruck wurde vollkommen unbewegt. »Ja, das ist wahr. Also spare ich mir die Mühe einfach.«
»Ja, ja, laß nur.«
»In Ordnung.«
»Danke. Vielen Dank. Du warst ... wunderbar.«
»Wirklich, May? Nun, es freut mich, daß ich behilflich sein konnte. Und jetzt muß ich gehen.«
May machte einen Schritt auf ihn zu, um ihn zum Abschied zu küssen. Sie neigte selten zu solchen Distanzlosigkeiten, aber es schien nicht richtig, sich ohne allen physischen Kontakt zu trennen nach allem, was sie zusammen durchgestanden hatten.
Er konnte nicht zurückweichen, ohne ins Wasser zu fallen, aber es gelang ihm, ihrem Kuß auszuweichen. Er legte eine Hand auf ihre Schulter und drückte sie kurz. »Paß auf dich auf. Falls du das kannst.«
May war zutiefst verletzt, aber es gelang ihr, einen geschäftsmäßigen Ton anzuschlagen. »Kein Problem. Mach’s gut, Hugh.«
Sie ging eilig hinein, denn sie hatte nicht die Absicht, ihm nachzusehen. Aber sobald sie im Salon war, änderte sie ihre Meinung und stürzte wieder ins Freie. Doch es war zu spät. Hugh war verschwunden.
Abends gab es eine kleine Party an Bord der Curlew, die genau wie das Rettungsboot am Treidelpfad des Hauptkanals vertäut lag. Aber trotz der unbescheidenen Mengen an selbstgemachtem Wein, Linseneintopf und Quiche, die verzehrt wurden, gelang es May nicht so recht, in Partystimmung zu kommen. Das hier war ihr Leben, es waren ihre Freunde, aber ihre Gesellschaft allein war plötzlich nicht mehr genug.
»Ich bin müde«, sagte sie sich und den anderen. »Ich muß mal früh ins Bett.«
Sie ging den kurzen Weg zur Rose zurück. Jed hatte unterwegs Hartfaserplatten vor die Fenster genagelt, und May fühlte sich vollkommen sicher. Es war nicht Angst, die ihr den Magen verknotete, bis ihr ganz elend wurde. Ohne es zu merken, immer mit wichtigeren Dingen beschäftigt, war es ihr irgendwie gelungen, sich zu verlieben. Ausgerechnet in Hugh, den unwahrscheinlichsten aller Kandidaten. Wäre sie nicht so durcheinander gewesen, hätte sie niemals zugelassen, daß es passiert. Dazu war sie viel zu realistisch und vernünftig.
Sie kletterte in ihre Koje, ärgerlich auf sich selbst und wütend auf Hugh. »Es kommt nur, weil er mich gerettet hat. Wenn er in Amerika ist, werd’ ich schon über ihn hinwegkommen.« Sie umarmte ihre Wärmflasche und drückte sie an sich, von ihren eigenen Worten wenig überzeugt und todunglücklich. »Das letzte, was mir fehlt, ist ein Mann, der mein Leben durcheinanderbringt.«
Am nächsten Morgen war sie noch genauso unglücklich. Ihre Stimmung besserte sich nicht gerade, als sie den Wasserhahn aufdrehte. Die Pumpe gab ein jammervolles Heulen von sich, aber kein Wasser.
»Oh, Mist!«
Sie hatte den Tank schon vor Weihnachten auffüllen wollen, doch sie hatte es vergessen, und jetzt saß sie fest, unfähig, sich ohne fremde Hilfe fortzubewegen und Gott weiß wie viele Meilen von der nächsten Trinkwasserstation entfernt.
Die Zunge klebte ihr am Gaumen. Wenn sie nicht bald eine Tasse Tee bekam, würde sie vor Durst sterben, ehe sie auch nur die Chance hatte, vor Liebeskummer einzugehen. Sie erwog, den Inhalt ihrer Wärmflasche in den Kessel zu kippen, befand aber, daß
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